Im Land des weiten Himmels
Welt. Nicht dass wir was gegen New York hätten, aber diese Typen waren einfach unausstehlich. Und die hatten auch einen anderen Akzent als Sie.«
»Ich bin aus Deutschland eingewandert, Ma’am.«
»So wie der Dutchman?« Die Ladenbesitzerin hatte anscheinend nichts gegen Deutsche. »Dann haben Sie aber einen mächtig weiten Weg hinter sich.« Ihr Mann schaufelte Mehl in eine Tüte. »Sie sind mit dem Flugzeug gekommen, nicht wahr? Mit dem netten Piloten? Ich hab ihn nur aus der Ferne gesehen, aber er macht einen sehr freundlichen Eindruck. Ihr … Verlobter?«
Neugier war in Tanana anscheinend stark verbreitet. »Nein, nein.« Sie schaffte es, einigermaßen amüsiert dreinzublicken. »Nein, Frank … Frank Calloway und einige andere Piloten werden in Kürze den Postdienst übernehmen und wohl auch nach Tanana kommen. Er hat mich freundlicherweise auf einen Rundflug mitgenommen. Er zieht wohl ein paar Schrauben nach … Was Männer eben so tun … Und ich sehe mich inzwischen ein wenig in der Stadt um. Ich würde gern noch etwas essen gehen … Ich hatte seit Wochen nur Corned Beef.«
»Natürlich … Im Tower House isst man am besten.«
Solchermaßen empfohlen konnte das Hotel-Restaurant mit dem Türmchen nicht schlecht sein. Sie betrat das Lokal am Ende der Straße, einen hellen Raum mit großen Fenstern und einem Kronleuchter, und zog sofort die abschätzenden Blicke der männlichen Gäste auf sich. Eigentlich war es nicht schicklich für eine Frau, allein ein Restaurant zu besuchen, in New York sogar beinahe unmöglich, und obwohl in der Wildnis andere Regeln galten, reagierten einige Gentlemen auch hier verhalten. Sie beantwortete die Blicke mit einem entwaffnenden Lächeln und sagte laut: »Entschuldigen Sie, dass ich hier einfach so reinschneie. Ich bin Hannah Stocker aus New York und lebe bei meinem Onkel Leopold. Sie nennen ihn wohl Dutchman. Ich werde in Kürze ein Roadhouse am Gold River eröffnen und würde mich freuen, wenn Sie mich dort besuchen kommen würden. Gutes Essen, gemütliche Zimmer und der beste Kaffee zwischen Fairbanks und dem Nordpol zu erträglichen Preisen.« Den Satz würde sie auf die Werbebroschüren schreiben, die sie in Fairbanks verteilen würde. »Mein Begleiter ist damit beschäftigt, einige Schäden an seinem Flugzeug auszubessern, und ich wollte die Zeit nützen, um hier zu essen. Ich bin ganz sicher, Sie haben nichts dagegen, dass ich mich Ihnen anschließe.«
Die amüsierten Mienen der männlichen und die bewundernden Blicke der weiblichen Gäste verrieten ihr, dass ihr kleiner Auftritt seinen Zweck erfüllt und ihr außerdem die Möglichkeit gegeben hatte, etwas Werbung zu machen. Sie folgte dem peinlich berührten Wirt zu einem freien Tisch und bestellte das Tagesgericht, einen »deftigen Elcheintopf mit Kartoffeln und Gemüse«.
Das Essen schmeckte köstlich, oder lag es nur daran, dass sie seit Tagen nichts Anständiges mehr gegessen hatte? Hannah würde es nie zugeben, aber an das karge Leben in der Wildnis musste sie sich erst noch gewöhnen. Sie würde dringend lernen müssen zu fischen – zumal wenn Frank nun wieder abreiste. Ihr wurde ganz schwer ums Herz. Wie sehr sehnte sie sich nach etwas Gesellschaft, ein wenig Komfort. Allein dass er ihr Holz für den Winter gehackt hatte, war unbezahlbar. Bei der Erinnerung an jenen Tag lächelte sie.
Sie musste sich regelrecht zwingen, langsam zu essen. Zu trinken gab es Kaffee mit Milch und Zucker. Sie genoss beides und wurde erst nach einer Weile auf die Herren am Nebentisch aufmerksam, beide um die fünfzig und ihrer Kleidung nach erfolgreiche Geschäftsleute. Einer war schlank und trug eine Nickelbrille, an der er ständig herumrückte, der andere war untersetzt und trug eine schlecht sitzende Krawatte mit einem winzigen Goldnugget an seiner Krawattennadel. Beide Männer hatten ihre Haare mit Frisiercreme geglättet. Sie unterhielten sich recht laut.
»Wenn ich’s Ihnen doch sage«, bemerkte der Schlanke gerade, »ich hab es aus sicherer Quelle.« Er senkte seine Stimme etwas, sprach aber immer noch so laut, dass Hannah jedes Wort verstand. »Eine Firma aus Kalifornien. Dort unten gehen die Holzvorräte langsam zur Neige, deshalb kommen sie zu uns. Hier gibt es mehr Bäume als in Kalifornien, Washington und Oregon zusammen, und die meisten Gebiete gehören der Regierung. Das ist wie ein neuer Goldrausch, Stephen! Die Regierung braucht dringend Geld und gibt das Land preiswert her, um Investoren anzulocken. Wenn
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