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Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Titel: Im Leben gibt es keine Proben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Biermann
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, ein aggressives Gewetter gegen das westdeutsche Fernsehen, das sich kaum jemand freiwillig ansah. So wuchs ich in diese Film- und Fernsehwelt hinein, als sei es das Normalste von der Welt.
    Und dann trainierte ich noch Eiskunstlauf. Nahm auch an kleinen Wettkämpfen und Meisterschaften teil, blieb aber die ewige Zweite. So viel ich auch trainierte, ich sprang zwar immer besser, drehte aber immer schlechter meine Kreise. Ich war eben mehr ein kleiner Springer als eine elegante Eisprinzessin. Bald verlor ich die Lust, auch weil mir die Wertungen beim Eiskunstlaufen wie Beschiss erschienen. Leistungen in Metern und Sekunden zu messen fand ich nachvollziehbarer, also wechselte ich zum Eisschnelllauf. Ich hielt ziemlich lange und mit sehr guten Ergebnissen durch. Helga Haase wurde auf mich aufmerksam. Sie war die erste DDR -Sportlerin, die bei Olympischen Spielen – 1960 in Squaw Valley – Gold holte, und das, obwohl ihr Trainer nicht mitreisen durfte. Mich trainierte Günter Bräuer für Dynamo Berlin, und ich erhielt eine Nominierung für die Olympischen Winterspiele in Innsbruck 1964. Ich lief sehr gute Zeiten, aber das häufige Training kollidierte mit den Fernsehauftritten, und ich wollte beides. Auch wenn ich mich später für die Kunst entschieden habe, so lockt mich die Eisbahn noch immer. Bin ich gut drauf, laufe ich mit den alten »Eisgirls« meine Bahnen im Sportforum. Manchmal ist auch Günter da und ruft nicht wie einst: »Los, los, Tempo!«, sondern: »Pass auf in den Kurven, denk an deinen Rücken!« Und ich gehorche ihm wie einst.
    Meine Mutter bekam ein Angebot von der »Berolina Eisrevue«. Die entstand 1958 als Zweigbetrieb des Zirkus Aeros, musste allerdings 1962 wieder eingestellt werden, weil es an professionellen Eislaufkünstlern mangelte. Ich glaube, damals kamen einige von »Holiday on Ice« dazu, meine Mutter erzählte zum Beispiel von der holländischen Landesmeisterin Nelli Maas. Die Revue gastierte in Polen, Rumänien und der Tschechoslowakei. Eine verlockende Aufgabe für meine Mutter, aber wohin mit uns Kindern? Ich war zwölf, meine Schwester vierzehn Jahre alt.
    Meine Großmutter Toni war zum zweiten Mal verheiratet. Gustav hatte ein Auto mit drei Rädern und einen Gemüseladen in Adlershof. Mein Opa ersäufte kleine Katzen, und wenn er auf dem Hof Kaninchen und Hühner schlachtete, lenkte mich meine Großmutter vom Fenster ab. Auch wenn Gustav in der Küche in den Ausguss pinkelte – das Klo war auf dem Hof –, hielt mich Oma auf dem Flur zurück: »Wart mal einen Moment ...« Ich hab es aber einmal gesehen, als ich durch die angelehnte Küchentür blinzelte.
    Nach der Schule ging ich gern zu ihr, bekam heiße Milch und eine dicke Stulle mit Wurst. Aber dass meine Schwester und ich bei ihm wohnten oder Oma bei uns im Haus, das wollte Gustav nicht. Also versuchte meine Mutter, uns in einem nahe gelegenen Kinderheim unterzubringen. Von dort aus hätten wir unser Leben fast normal fortsetzen können. Leider nahm uns das Kinderheim in Königsheide nicht, und das Jugendamt wies uns zwei Plätze in Werftpfuhl bei Werneuchen nach. Das bedeutete raus aus der Schule, aus dem Sport, aus dem Kinderfernsehen, denn dieses Heim lag im Nordosten Berlins außerhalb des S-Bahn-Bereiches.
    Zu Anfang des 20. Jahrhunderts war das inmitten eines schönen Parks gelegene Haus eine caritative Stiftung für Waisenmädchen gewesen, seit den fünfziger Jahren ein Spezialkinderheim für sogenannte Schwererziehbare, die zu »vollwertigen Mitgliedern der sozialistischen Gemeinschaft« geformt werden sollten. Nicht vollwertig konnte schon ein Kind sein, das die Schule schwänzte oder nachmittags auf der Straße rumlungerte, weil die Mutter arbeiten musste. Es waren Kinder, die sich zu wehren wussten, die überleben mussten ohne liebevolle Unterstützung von Eltern, eine uns bis dahin fremde Gesellschaft. Ich glaube nicht, dass meine Mutter geahnt hatte, in welche Umgebung sie uns gab und mit welch drakonischen Maßnahmen dieses »Formen« vonstatten ging: Schläge, Sport bis zur Erschöpfung, demütigende Strafarbeiten. Es dauerte nicht lange, und besonders ich wurde als ebenso schwierig eingestuft, denn ich war zwar klein, aber sportlich und stark. Wurde ich angegriffen, teilte ich aus und verteidigte meine Schwester. Der Einzige, der uns mochte und sah, dass wir nicht in diese Umgebung gehörten, war unser Deutschlehrer. Er hat sich aber leider am Fensterkreuz aufgehängt. Das übrige Personal lehrte uns das

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