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Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Titel: Im Leben gibt es keine Proben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Biermann
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dem Reiz, den einst Gastspiele in fernen Ländern ausmachten, ist wenig übriggeblieben. Zeit ist Geld, das Geld überholt uns.
    Eigentlich war nicht ich in Brasilien, sondern nur meine Mutter Courage. Porto Alegre, was »fröhlicher Hafen« heißt, soll die beste Lebensqualität aller lateinamerikanischen Großstädte bieten? Ich konnte es nicht überprüfen. Es soll einer der Austragungsorte der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 sein? Meinetwegen. Das Teatro São Pedro liegt mitten im reizvollen Zentrum. Ich habe kaum etwas davon gesehen.
    Wir präsentieren uns, aber wir erfahren wenig von unseren Gastgebern und ihrem Land. Wir atmen erst im Flieger aus und erzählen zu Hause mehr von unseren Erschöpfungen als von den Abenteuern.
    Meistens werden Bühnenbild und der Wagen Wochen vorher mit dem Schiff vorausgeschickt, dieses Mal flog alles als Frachtgut mit.
    Da die Bühne des Teatro São Pedro wesentlich kleiner ist als die im BE , bauten unsere Techniker dort eine kleinere Scheibe, die sie auf die Bühne montierten. Der Wagen und zwei Häuserwände nahmen fast den ganzen Raum ein, somit gerieten meine Wagenfahrten kürzer, und es war viel komplizierter zu rangieren.
    Eigentlich begeht man zu Beginn eines Gastspiels die Bühne, prüft die Arrangements und Auftritte, die Möglichkeiten der Umzüge – also alles Organisatorische, dazu die Garderoben und die Wege. Mehr nicht.
    Im Gastland beginnt Claus Peymann meist nur eine »kleine« Probe. Hört er einen falschen Ton, bemerkt ein verändertes Arrangement oder entdeckt eine Nachlässigkeit, geht es los. Er fordert ab, reglementiert, übt, spornt an, lobt, tadelt, schreit, und alles schwitzt, rennt, stöhnt und spielt. Mit seinem Perfektionismus treibt er uns an die Grenze unserer Belastbarkeit. Diese Erschöpfung schon vor der ersten Vorstellung bringt jeden Schauspieler in bedingungslose Wut, die letztendlich Kreativität freisetzt – also man wird besser. Darauf setzt er, und der Erfolg gibt ihm recht.
    Am meisten aber interessierte mich Eva Sopher. Schon in Berlin sprach man voller Hochachtung über diese außergewöhnliche Frau.
    Wie ich hörte, war Claus Peymann ihr nur kurz begegnet. Er hatte sie dem Ensemble nicht vorgestellt. Vielleicht bittet man die Prinzipalin nach unserer ersten Vorstellung auf die Bühne, hoffte ich. Vergebens. Auch danach, als für die Schauspieler ein Essen in einem Restaurant arrangiert worden war, kam sie nicht. Ich begann, mich zu sorgen. Wo war sie, diese Prinzipalin?
    Vor der zweiten Vorstellung machte ich mich im Theater auf die Suche nach Eva Sopher.
    Im Keller des Theaters gibt es ein kleines Museum, das die Phasen der Restaurierung des unter Denkmalschutz stehenden Theaters zeigt, dazu Ehrungen für Eva Sopher. Eine junge Frau, die mich durch die kleine Ausstellung führte, erzählte, dass zwar Eva Sophers Eltern mit ihr und ihrer Schwester Deutschland 1937 verlassen konnten, da war Eva vierzehn Jahre alt gewesen, dass aber viele Familienmitglieder und Freunde in Konzentrationslagern umgekommen seien.
    Und plötzlich stand sie vor mir: Eine kleine Dame, ebenso groß oder so klein wie ich, mit schlichter Eleganz gekleidet und dem schönsten Lächeln. Sie hat das bestimmte Auftreten einer Chefin, aber ungeheuer warme braune Augen. Offenbar ist sie so eine Theatermutter, wie die Weigel eine war, trotz ihres Alters unermüdlich. Derzeit beaufsichtigte sie den Ausbau eines zweiten Theaterflügels.
    Nach der dritten Vorstellung klopfte sie an meine Garderobentür. »Das wird zu den größten Erlebnissen in dieser Stadt gehören«, sagte sie, »die Courage vom Berliner Ensemble ist der Höhepunkt für eine ganze Generation. Ich war in allen drei Vorstellungen, Sie haben mich berührt und gerührt!« So stand es dann auch in etlichen Kritiken.
    Eva Sopher umarmte mich lange wortlos. Leider hatte ich kein portugiesisches Wort des Dankes zur Verfügung, aber sie sprach sehr gut Deutsch. Sie schenkte mir ein Buch über ihr Theater mit einer wundervollen Widmung. Ich sah darin ihr Porträt in Bronze und Gedenktafeln für sie – und sie stand so vital vor mir, ich war überwältigt von der Kraft dieser Frau, mit der sie ihre Lebensträume verwirklicht hat. Und zugleich war ich unglaublich beschämt. Wir eilen von Stadt zu Stadt, von Erdteil zu Erdteil, doch wir nehmen uns keine Zeit mehr für die Menschen. Wir hatten für diese Abende bis zum Umfallen geprobt, mit Jetlag, mit Hunger, mit Lust und Verzweiflung – aber diese kleine

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