Im Leben wird dir nichts geschenkt.
Eltern ging, und wie ich, auf mich selbst gestellt, meine Bleibe halten konnte. So dämmerte mir der Gedanke, dass Raoul vielleicht gar keine so schlechte Option war. Ich hatte gemischte Gefühle ihm gegenüber, wollte aber nur das Beste über ihn denken. Ich malte mir ein optimistisch eingefärbtes Bild von einer gemeinsamen Zukunft aus, wo es besser gewesen wäre, die Sache objektiver zu betrachten; zugleich war ich immer noch mehr oder weniger entschlossen, nicht zu ihm zurückzukehren. Dann kam jener besondere Anruf, der alles entschied. Impulsiv nahm ich den Hörer hoch, und alles änderte sich.
» Was?«
»Es war so schön, mit dir zusammen zu sein«, sagte Raoul. »Ich habe viel über dich nachgedacht. Du bist so weit weg und du liebst Italien und du bist ein großer Star. Warum kommst du nicht zurück? Du könntest sicher und komfortabel hier leben, deine Eltern wären nur ein paar Stunden entfernt, und deine Kinder könnten dich häufiger besuchen. Denk drüber nach.« Er zog wirklich alle Register. Und ich dachte: Nun ja, es ist was dran an dem, was er sagt. Kann nicht schaden, mal mit dem Gedanken zu spielen . Die endlose Pendelei zwischen Jobs in den USA, Italien und London zehrte mich aus, und es wäre auf jeden Fall angenehmer, die Familie und Freunde in der Nähe zu haben. Damit begann ein langes und zunehmend trauriges Kapitel in meinem Leben.
Es fing mit der Entdeckung an, dass die Isländerin nach wie vor bei ihm in seiner Wohnung war – ein toller Auftakt. Was um Himmels willen sollte das, mich nach Mailand einzuladen, wenn er noch mit jemandem zusammenlebte? Ich nahm mir ein Hotelzimmer, Raoul kam vorbei, wann immer er konnte, und ich arbeitete abwechselnd in Italien und in London. Es war immer erfrischend, wenn ich nach einem langen Arbeitspensum in Großbritannien zurückkam und wir unsere zwischenzeitlichen Erfahrungen austauschen konnten – das belebte unsere Beziehung und machte sie aufregend. Er fuhr eine Menge Rennen, und meine Zweifel begannen bald zu schmelzen. Ich hatte viel zu tun und war angetan von dieser so andersartig empfundenen Beziehung.
Er nahm mich auf seiner Harley-Davidson mit. Vom Sozius aus und mit der Begleitmusik der tief und kräftig klingenden Maschine sah Mailand ganz wundervoll aus. Ich fühlte mich so behaglich. »Ich will dir was zeigen«, sagte Raoul, »Ich will dir zeigen, wo ich herkomme.« Das war der Tag, der die nächsten vierzehn Jahre für mich entschied.
Er brachte mich zum Comer See und in die Schweiz zum Luganer See. Den sollte ich sehr gut kennenlernen, aber ich glaube, er sah nie so überwältigend aus wie an diesem ersten Tag. Ich war völlig hingerissen von seinem romantischen Reiz und statt aufzuwachen und die Augen offen zu halten, tauchte ich in meine Fantasien ein. Trotz meiner erfolgreichen Karriere sehnte ich mich im Grunde nach einer Stabilität, wie sie die Beziehung zwischen meinen Eltern verkörperte. Ich wollte Dänemark, oder genauer gesagt, die Sicherheit und den Komfort, die ich von früher kannte, doch das war ein Wunsch, von dem ich nun weiß, dass er für mich unerfüllbar bleibt: Meine Kindheit war eben doch anders, und während ich die Tochter meiner Eltern bin, habe ich immer mein eigenes Leben gelebt. Ich könnte nie so sein wie sie, aber ich hatte dennoch eine unstillbare Sehnsucht nach dieser Art von Existenz. Also entschloss ich mich, die neue Beziehung nicht aufzugeben, was immer passieren würde.
»Weißt du was? Wir sollten wirklich ein Haus am See haben, Gitte.« Das klang wunderbar, aber – hallo! – ich hätte daran denken sollen, genügend Raum für mich zu reklamieren. Das tat ich leider nicht. »Es ist so hektisch in Mailand«, fuhr er fort, »und hier kann man durch die Straßen gehen, ohne dass jemand weiß, wer man ist, das ist denen ohnehin egal. Wäre das nicht der ideale Ort für dich? Und er ist so nahe.« Das stimmte, er war mal gerade fünfundvierzig Minuten vom Zentrum Mailands entfernt. Ich schaute raus auf die stille Schönheit des Sees und, nun ja, was sollte ein armes Mädchen tun? Ich war hin- und hergerissen. Sollte ich mich hier niederlassen? Was war mit meinen Eltern, meinen Kindern? Die Seeoberfläche kräuselte sich sanft und die Sonne schien und wärmte mich bis in die Zehen – es war wirklich wie im Film. Raoul widmete sich mir so aufmerksam, und ich dachte, eigentlich toll, dass er sich die Zeit genommen hatte, mir etwas zu zeigen, was ihm so viel bedeutet; und ich dachte auch, dass
Weitere Kostenlose Bücher