Im Leben wird dir nichts geschenkt.
Madrid. Ich hatte meine Sachen rechtzeitig gepackt und war bereit, mich mit ganzer Kraft den Shows zu widmen, zugleich aber die alten Freundschaften aufzufrischen.
Begleitet wurde ich von meinem Bodyguard Rodolfo. Er war seit Jahren mein verlässlicher Schatten und hatte sich mit der gesamten Familie angefreundet. Killian und er waren besonders gute Freunde, nicht zuletzt weil Rodolfo ihm das Kickboxen und andere Kampfsportarten beibrachte. In Madrid stießen die beiden anderen Bodyguards zu uns und geleiteten uns zum Hotel. Ich ließ mich in einen Sessel fallen und trank ein Glas von dem Champagner, der immer für mich bereit stand, wenn ich kam. Die vertraute Begrüßung und die Aussicht auf den Job taten gut.
Ich begann damit, die Gesangsnummern im Kopf durchzugehen, und summte sie vor mich hin. Vor mir lag ein Marathon, denn die Spanier haben die eigenartige Tradition, Shows – Live-Shows! – so auszudehnen, dass sie von acht Uhr abends bis ein Uhr dreißig in der Nacht liefen. Ich kam um neun Uhr dran, dann noch einmal wieder zur Halbzeit und schließlich gegen Ende. Glücklich und zufrieden, doch hundemüde, brachte ich die Verabschiedungen hinter mich und wollte nur noch schnellstens ins Hotel zurück. Dort nahm ich ein Bad, wusch mir den Schweiß ab und registrierte, dass mein Mund noch von den dreifachen Abschiedsküssen (nach Manier der Spanier und Italiener) in Mitleidenschaft gezogen war. Als ich fertig war, versah Rodolfo immer noch seinen Dienst.
»Gut gemacht!«, sagte er. »Großartige Show.« Am nächsten Morgen rief ich zu Hause an, um zu hören, wie es den Kindern ging. Sie waren wohlauf, doch Raoul war nicht zuhause, was mir entgegenkam, da ich nicht erpicht darauf war, erst durch seine Vermittlung mit den Jungs sprechen zu können.
Den restlichen Tag legte ich mich für die abendliche Show schwer ins Zeug. Danach rief ich Raoul an, und wir kamen überein, uns in Rom für die nächste große Show zu treffen. Zu diesem Zeitpunkt war jede Zuneigung zwischen uns dahin, doch als ich ihn schließlich traf, wirkte er mir gegenüber noch unglücklicher als sonst.
Wir gelangten zum Auto, und er lehnte sich über die Kühlerhaube. »Ich muss dir etwas mitteilen«, sagte er, während er den Blick abwandte, und ich merkte seinem Ton an, dass etwas Schlimmes passiert war. »Dein Dad ist tot.«
»Was redest du da?« Ich stammelte Unsinniges vor mich hin und wollte nicht wahrhaben, was er mir gerade beizubringen versuchte. Um mich drehte sich alles. Ich schrie unkontrolliert. Irgendwann fand ich mich auf dem Beifahrersitz wieder, ich weinte hemmungslos und glaubte wohl, ich könnte die Nachricht aus dem Kopf bekommen, wenn ich mit der Stirn immer wieder gegen die Armaturen schlug. Dabei wusste ich, dass es stimmte.
Mein Vater war mein Fels in der Brandung gewesen. Er hatte mich bei jeder wichtigen Entscheidung in meinem Leben unterstützt und war mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Als ich klein war, spielte er Badminton mit mir und zählte, wie oft der Federball übers Netz ging – der Rekord lag bei 143 Mal, ich erinnere mich genau. Die Strenge seiner häuslichen Regeln wurde mehr als aufgewogen durch die unerschütterliche Liebe, die er seinen Kindern entgegenbrachte.
Als ich noch jung war und er mir sagte »Gitte, du musst dir keinerlei Sorgen machen«, fühlte ich mich unendlich getröstet. Wir hatten nie über meine unglückliche Schulzeit gesprochen, doch ich bin sicher, dass er genau das im Sinn hatte. »Du bist nicht von hier«, fuhr er fort.
»Was soll das heißen, Papa?«, fragte ich mit großen Kulleraugen.
»Du kommst von weit her, wie von einem anderen Stern.« Also das war schon ziemlich bizarr. »Du bist ganz du selbst, du bist etwas Besonderes, Gitte-mus«, sagte er – »Gitte-Mäuschen«. Dabei umarmte er mich. Instinktiv wusste er, dass ich nicht wie die anderen war, und wollte mich dazu ermuntern, das als eine positive Herausforderung zu nehmen. Nie werde ich sein kreatives, vorausschauendes Wesen vergessen. Er arbeitete unermüdlich, damit es seiner Familie an nichts fehlte.
An den Samstagen meiner Kindheit ging ich mit meinem Bruder in einen Laden, um mit meinem Bruder meiner Vorliebe für Lakritz frönen zu können. Papa mochte zuckerfreies Kaugummi mit Pfefferminzgeschmack und kaufte gerne salziges Lakritz der Marke Piratos, das er offen auf dem Tisch liegen ließ, wobei er uns warnte, die Finger davonzulassen. Er wusste natürlich, dass mein Bruder und ich nie
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