Im Leben wird dir nichts geschenkt.
Italien gelassen zu haben, dass ich noch mehr trank. Mattia und ich waren in ein schönes Haus in den Hollywood Hills gezogen, doch meine Gewohnheiten waren genauso schlimm wie in Morcote. Jeden Tag holte ich die halb geleerten oder vollen Flaschen aus ihren Verstecken quer durchs ganze Haus. Inzwischen gab es keine trockenen Phasen mehr, und allmählich hinterließ die Sucht ihre Spuren, dennoch gab es zwischen Morcote und den Hollywood Hills einen Unterschied: Mattia.
»Du richtest dich zugrunde«, sagte er zu mir. »Es tut mir in der Seele weh, dich so zu sehen. Du musst etwas unternehmen, bevor du dich umbringst. Und wenn du dir keine Hilfe suchst, bleibt mir nichts anderes übrig, als dich zu verlassen.« Das waren harte Worte, und doch ging Mattia anders als Raoul das Problem konstruktiv an. Er war um mich besorgt und machte mir gleichzeitig klar, dass er meinte, was er sagte. Ich hatte bereits in Lugano mit dem Gedanken gespielt, mir ärztlichen Rat zu holen, dann jedoch die Kontaktdaten einfach weggeworfen. Jetzt sah ich die Wahrheit klar vor Augen: Vermutlich war ich inzwischen dem Alkohol stärker verfallen als zu der Zeit meines Selbstmordversuchs.
»Das verstehe ich natürlich, Mattia«, sagte ich. »Ich verspreche dir, von heute an keinen Tropfen mehr anzurühren, Ehrenwort.« Und ich blieb drei Wochen lang trocken. Ich hatte nicht einmal das Bedürfnis zu trinken, es ging mir gut, doch als er eines Morgens überraschend zu einer Erledigung aus dem Haus musste, fand ich eine Flasche in meinem geheimen Vorratslager, und obwohl ich ihn nicht enttäuschen wollte, trank ich hinter seinem Rücken. Es gab Gelegenheiten, bei denen ich ohne Alkohol nicht zurechtkam – etwa, am Telefon mit meiner Mutter zu sprechen oder mich mit wichtigen Dingen auseinanderzusetzen, die meine Kinder betrafen. Ich bildete mir ein, ich könnte mich einfach so durchmogeln, ohne dass es jemand merkte, und stolperte weitere sechs Monate auf diese Weise durchs Leben. Manchmal entdeckte Mattia eine Flasche, und das ganze Theater ging von vorne los. Mein Leben war ein Albtraum, doch niemand konnte mir helfen – am allerwenigsten ich selbst –, bis ich die Karten auf den Tisch legte und mich der Wahrheit stellte.
Ich erinnere mich nicht mehr genau an das Datum, an dem die Situation eskalierte, ich weiß nur noch, es war ein Donnerstag. »Du brauchst professionelle Hilfe«, sagte Mattia erneut. »Wenn du nicht sofort etwas unternimmst, sind wir miteinander fertig, und zwar hier und jetzt. Ich kann nicht länger mit jemandem zusammenleben, der so viel trinkt wie du.« Mir war klar, dass ich ihn so oft belogen und sein Vertrauen so oft enttäuscht hatte, dass er mir vielleicht nie wieder glauben würde; ich war verzweifelt.
In dieser Verfassung überhäufte ich ihn mit Beschimpfungen und schrie, »Lass mich verflucht nochmal trinken! Du wirst mich nicht daran hindern. Ich trinke so viel, wie ich will, ob dir das passt oder nicht. Ich werde dich nicht halten!« Natürlich wollte ich in Wahrheit nicht, dass er geht – ich wollte, dass er mich rettete – und genau das tat er. Er brachte mich dazu, ihm und mir einzugestehen, dass ich dabei war, alles kaputt zu machen.
Rational hatte ich mir einfach nie klar gemacht, wie ruinös das Trinken war. Für mich war es immer etwas gewesen, das ich tat, und nicht etwas, das ich war. Ein richtiger Alkoholiker, redete ich mir ein, sah anders aus. Er hatte eine Fahne, zitterte, hatte ein Gedächtnis gleich null und kotzte, wenn er zu viel intus hatte. Zum ersten Mal machte ich mir klar, dass ich eine Alkoholikerin war . Das war ich. Und Mattia hatte das Recht, mich so zu nennen. Das hier war meine letzte Chance.
Als er zum Einkaufen das Haus verließ, dachte ich, Das war’s – bis hierher und nicht weiter . Ich schaltete den Computer ein und ging nervös ins Internet. Ich öffnete eine Suchmaschine und tippte unter Tränen »Entzugsklinik« und »Los Angeles« ein, sah mir die Ergebnisse an und entschied mich. Ich traf meine Wahl allein nach dem Namen. Ich werde diesen Namen hier nicht preisgeben, da es wichtig ist, in Bezug auf andere Patienten und ihre Behandlung Vertraulichkeit zu wahren, doch entscheidend war für mich der Name. Auch wenn das banal klingt, fand ich im Aufruhr meiner Gefühle und unter Tränen der Hilflosigkeit keine andere Möglichkeit, den nächsten Schritt zu machen.
So allein hatte ich Angst, und nachdem ich die Nummer gewählt hatte, geriet ich in Panik, weil ich nicht
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