Im Licht der roten Erde
Büros von Angel & Hart, Rechtsanwälte. Keine lärmschluckenden Teppichböden, keine goldgerahmten Kunstwerke, kein gedämpftes Licht. Auch kein Stahl oder Neon, Glas und Kubismus. Stattdessen konservativer Komfort. Traditionell und solide.
Der Tür gegenüber, wie ein Löwe vor der Festung, saß Miss Eileen Thompson. Kurzgeschnittenes Haar, gepuderte spitze, gerade Nase, gut haftender Lippenstift, Katzenaugenbrille. Ein Halstuch von Hermès zu einem dezent getupften Kostüm in einem Stil, der sich von den Fünfzigern zu den Neunzigern nur unwesentlich verändert hatte. Miss Thompsons ganzer Stolz war eine Diamantanstecknadel in Form einer Hummel, ein Geschenk der Seniorpartner zu ihrem zwanzigjährigen Dienstjubiläum.
Sie hatte sie kommen sehen – die Unterprivilegierten, die Tragiker, die Rachsüchtigen –, um sich ihrer ersten Prüfung zu stellen: ihrem kritischen Blick und ihren Fragen. Söhne und Töchter lang verstorbener Klienten und wiederum deren Söhne und Töchter waren durch die schweren Türen geschritten. Es gab kaum ein menschliches Gefühl, dessen sie nicht Zeugin geworden war in den privaten Büroräumen, die den Unterhaltungen zwischen Anwalt und Klient dienten. Jetzt, in ihren späten Sechzigern, agierte sie nach wie vor im Hintergrund. Mit gezücktem Stift und geöffnetem Notizbuch hielt sie fest, was über den Rechtsweg geklärt werden musste. Ihre Meinungen und Lösungsvorschläge, die sie durchaus hatte, behielt sie grundsätzlich für sich.
Miss Thompson hatte eine Faustregel: Der erste Eindruck sagte alles. Wie sie durch die Tür kamen – manche zögerten, manche bauten sich vor ihrem Schreibtisch auf. Der Blickkontakt, der Tonfall, die unsichtbaren Schwingungen in dem stillen Empfangszimmer wurden von Eileen Thompson binnen Sekunden abgeurteilt oder mitfühlend aufgenommen, und sie lag selten daneben.
Die Frau, die die Tür öffnete und Miss Thompsons durchdringendem Blick begegnete, trat ruhig und bestimmt auf den Schreibtisch zu. Ihr Lächeln war freundlich, aber nicht bittend, ihr Auftreten selbstbewusst, aber nicht aggressiv. Sie strahlte eine Entschlossenheit und Zielstrebigkeit aus, die Miss Thompson sagte, dass diese Frau nicht leicht von ihrem Kurs abzubringen war. Sie nahm die Brille ab und schenkte ihr ein professionelles Lächeln. »Haben Sie einen Termin?«
»Allerdings. Mein Name ist Bethany Van Horton, und ich bin mit Miss Massey verabredet.«
»Selbstverständlich. Bitte kommen Sie ins Besprechungszimmer, ich werde mir ein paar Notizen machen und dann Miss Susan rufen.«
»Notizen? Ich ziehe es vor, direkt zur Sache zu kommen. Ein Mann leidet, während wir uns hier mit Papieren herumschlagen.« Ihr Auftreten war nach wie vor freundlich, aber in ihren Augen stand »unsinniger Verwaltungskram«.
Eileen Thompson blieb ebenso freundlich, aber standhaft. »Es tut mir leid, das ist die übliche Vorgehensweise bei Angel & Hart. Bevor Sie persönliche Informationen preisgeben, sollten wir uns an ein paar erprobte und berechtigte Richtlinien halten.«
»Ich denke nicht, dass ich irgendetwas Persönliches preisgebe. Ich bin kein potenzieller Klient, ich bin nur die Vermittlerin.«
Miss Thompsons Hand ruhte auf den Papieren, und ihre Stimme war unverändert, doch ihre unausgesprochene Botschaft war unmissverständlich: Dann verschwenden Sie nicht meine Zeit. Schließlich gab sie nach. »Nun gut, ich werde Miss Massey rufen.« Tee oder Kaffee bot sie nicht an.
An ihrem Schreibtisch trank Susan eilig ihr Mineralwasser aus und griff dann nach ihrem Schreibblock. Bethany Van Hortons Anruf vor zwei Tagen hatte sie neugierig gemacht.
»Alistair MacKenzie hat mir empfohlen, Sie anzurufen. Ich denke, er hat erwähnt, dass es sich um einen Vorfall einen meiner Freunde betreffend handelt und dass dieser nach einer Rechtsvertretung sucht.«
»Ich habe Alistair bei einem gesellschaftlichen Anlass kennengelernt, wir haben keine offizielle Vereinbarung getroffen. Außerdem muss ich Sie darauf hinweisen, dass ich diese Art Fall nicht oft vertrete.«
»Aborigine-Klienten, wollen Sie sagen?«
»Das wäre diskriminierend. Soviel ich weiß, lautet die Anklage auf vorsätzliches unbefugtes Eindringen. Wer kommt für die Kosten auf?«
Kurz angebunden war Bethany Van Hortons Antwort durch die Leitung gedrungen: »Er verfügt über finanzielle Rücklagen. Vielleicht hat MacKenzie Sie falsch eingeschätzt. Wenn Sie nicht bereit sind …«
»Miss Van Horton, ich bin absolut
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