Im Licht der Sonne: Roman (German Edition)
Goldbraun von frisch in Gläsern abgefülltem Honig; seine Nase war gerade und schmal, sein Gesicht ein bisschen dünn und hohlwangig.
Seine Wangen neigten dazu, noch ein wenig hohler zu werden, wenn er sich über lange Zeiträume ganz in seiner Arbeit verlor und jeden Gedanken an regelmäßige Mahlzeiten vergaß. Es verlieh ihm ein interessantes Darbender-Gelehrter-Aussehen.
Sein Mund mit der sinnlich vollen Unterlippe lächelte gerne und häufig.
Er war ziemlich groß, ziemlich schlaksig. Und ziemlich unbeholfen.
Er musste sich mit beiden Händen an der Reling festklammern, um zu verhindern, dass er kopfüber über Bord fiel, als die Fähre plötzlich erzitterte. Natürlich hatte er sich viel zu weit vorgebeugt. Er wusste das, aber die Erwartung ließ ihn oft die Realität des Augenblicks vergessen.
Er richtete sich wieder auf und griff in seine Manteltasche, auf der Suche nach einem Streifen Kaugummi.
Statt des Kaugummis brachte er einen uralten Zitronendrops zum Vorschein, ein paar zerknüllte Notizzettel, eine abgerissene Kinokarte – was ihn vor ein Rätsel stellte, da er sich nicht so recht daran erinnern konnte, wann er das letzte Mal im Kino gewesen war – und eine Schutzkappe für ein Objektiv, von der er geglaubt hatte, er hätte sie verloren. Er begnügte sich mit dem leicht angestaubten Zitronenbonbon und betrachtete die Insel.
Er hatte sich mit einem Schamanen in Arizona beraten, hatte einen Mann in den Bergen Ungarns besucht, der behauptete, ein Vampir zu sein, und war nach einem bedauerlichen Vorfall in Mexiko von einem Voodoo-Priester verflucht worden. Er hatte in einem Cottage in Cornwall unter Geistern gelebt und die Rituale eines Totenbeschwörers in Rumänien dokumentiert.
Seit fast zwölf Jahren war MacAllister Booke damit beschäftigt, das Unmögliche zu erforschen, zu protokollieren und mitzuerleben. Er hatte Hexen und Geister interviewt, Menschen, die sich angeblich in einen Werwolf oder ein anderes wildes Tier verwandelten, Menschen, die überzeugt waren, von Außerirdischen entführt worden zu sein, und solche, die medial veranlagt waren. Achtundneunzig Prozent davon litten unter Wahnvorstellungen oder waren schlichtweg Schwindler. Aber die restlichen zwei Prozent … nun, die waren der Grund dafür, weshalb er unermüdlich weitermachte. Er glaubte nicht nur an das Außergewöhnliche. Sondern er hatte die Erforschung paranormaler Phänomene auch zu seiner Lebensaufgabe gemacht.
Die Vorstellung, die nächsten paar Monate auf einem Stück Land zu verbringen, von dem die Legende behauptete, dass es einst von einem Hexentrio vom Festland von Massachusetts abgerissen und als Zufluchtsort im Meer angesiedelt worden war, faszinierte ihn ungeheuer.
Er hatte umfassende Nachforschungen über Three Sisters
Island angestellt und jede noch so dürftige Information ausgegraben, die er über Mia Devlin – die derzeitige Inselhexe – finden konnte. Sie hatte es abgelehnt, ihm Interviews zu geben oder einen Einblick in ihr Wirken zu gewähren. Aber er hoffte, sie doch noch dazu überreden zu können.
Ein Mann, der es dank seiner Überredungskunst geschafft hatte, an einer von Neo-Druiden abgehaltenen Zeremonie teilzunehmen, sollte eigentlich auch in der Lage sein, eine einsame Hexe davon zu überzeugen, ihn zuschauen zu lassen, wenn sie ihre Magie betrieb.
Außerdem stellte er sich vor, dass sie ein Tauschgeschäft machen könnten. Er hatte nämlich etwas, das sie unter Garantie interessieren würde – sie und jeden anderen, der irgendetwas mit dem dreihundert Jahre alten Fluch zu tun hatte.
Er hob wieder seine Kamera ans Auge und stellte die Entfernung ein, um den schlanken weißen Leuchtturm und das düster wirkende alte Steinhaus aufzunehmen, die sich beide an die hohen Klippen anschmiegten. Er wusste, dass Mia dort wohnte, hoch über dem Inseldorf, in unmittelbarer Nähe eines dichten Waldstücks.
Genauso wie er wusste, dass sie die Inhaberin der Dorfbuchhandlung war und dass sie das Geschäft recht erfolgreich führte. Eine praktisch veranlagte Hexe, entschied er, die – allem Anschein nach – zu leben verstand und in beiden Welten gut lebte. Er konnte es kaum noch erwarten, sie persönlich kennen zu lernen.
Das Tuten der Schiffssirene ermahnte ihn, sich auf das Anlegen vorzubereiten. Er ging zurück zu seinem Landrover und verstaute seine Kamera in der Tasche, die in einem Haufen von anderen Taschen und Beuteln auf dem Beifahrersitz lag.
Die Objektivkappe in seiner
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