Im Licht der Sonne: Roman (German Edition)
wieder ganz
der Alte gewesen. Ich bin noch nicht so ganz wieder auf dem Damm, sagte sich Harding. Daran bestand kein Zweifel. Aber eine kräftige Mahlzeit und ein bisschen Bewegung – sowohl geistiger als auch körperlicher Art – würden ihm schnell wieder auf die Beine helfen. Die heiße Suppe hatte seinem angeschlagenen Organismus ganz sicherlich gut getan – zumindest, bis die Brünette ins Café gekommen war.
In dem Moment waren plötzlich wieder diese Klammheit und das Krankheitsgefühl zurückgekehrt. Die Kopfschmerzen, der unerklärliche Zorn. Er hatte in Gedanken ein ganz seltsames Bild von ihr vor sich gesehen, wie sie mit einer Pistole auf ihn zielte und ihn anbrüllte, und da wäre er am liebsten aufgesprungen und hätte ihr mit den Fäusten ins Gesicht gedroschen.
Gleich darauf war noch ein weiteres Bild vor seinem inneren Auge aufgestiegen, ein Bild von ihr, wie sie in einem Sturm drohend über ihm aufragte, ihr Haar windgepeitscht und von einer Aura aus Licht umhüllt, während sie ein Schwert in den Händen hielt, das wie Silber glitzerte.
Er dankte Gott, als sie wieder hinausging und die seltsame Stimmung, die ihn plötzlich überkommen hatte, mit ihr zusammen verschwand.
Trotzdem zitterten seine Hände noch immer, als er wieder nach seinem Löffel griff.
Ripley brachte Zack seinen Kaffee und trank von ihrem eigenen, während er gerade telefonierte. Als sie im Raum hin und her wanderte, hörte sie, wie er den Anrufer wegen des Sturms beruhigte und ihm versicherte, dass alle notwendigen Maßnahmen getroffen seien, um die Sturmschäden möglichst gering zu halten, und dass im Notfall jederzeit ärztliche Hilfe zur Verfügung stünde.
Muss ein neuer Inselbewohner sein, dachte Ripley. Wahrscheinlich
die Carters, die im September auf die Insel gezogen waren. Es gab sonst niemanden auf Three Sisters, der noch neu genug war, um wegen eines winterlichen Unwetters in Panik zu geraten.
»Justine Carter«, bestätigte Zack, als er auflegte. »Sie ist total hysterisch wegen des Sturms.«
»Tja, sie wird sich entweder daran gewöhnen oder noch vor dem nächsten Winter wieder aufs Festland ziehen. Hör mal, ich habe Mac gesagt, dass er heute bei uns essen und übernachten kann. Der Strom wird unter Garantie wieder ausfallen.«
»Gute Idee.«
»Und ich habe ihn gebeten, noch so lange im Buchladen zu bleiben, bis Nell geht, und dafür zu sorgen, dass sie heil nach Hause kommt.«
»Und die Idee ist sogar noch besser. Danke. Was ist denn los?«
»Vielleicht macht mich der Sturm auch ein bisschen rappelig.« Sie lächelte schwach. »Dieser Typ, den ich vorhin im Café gesehen habe, war mir irgendwie nicht geheuer. Ich kann nicht genau sagen, warum, aber irgendwas ist an dem Kerl nicht so ganz koscher. Großstadtpinkel. Neue Stiefel, Maniküre, teure Klamotten. Schätzungsweise Ende vierzig. Kräftig gebaut, aber auf mich machte er einen etwas angeschlagenen Eindruck. Bleich, verschwitzt.«
»Um diese Jahreszeit geht die Grippe um.«
»Ja, na ja. Ich dachte jedenfalls, ich könnte mal im Hotel vorbeischauen und sehen, ob ich den Leuten ein paar Informationen über ihn abschmeicheln kann.«
Da er Ripleys Instinkt vertraute, zeigte Zack auf das Telefon. »Ruf sie doch einfach an, dann kannst du dir einen weiteren Trip bei diesem scheußlichen Wetter sparen.«
»Nein. Ich werde ganz sicher mehr erfahren, wenn ich persönlich dort auftauche. Er hat mir irgendwie Angst gemacht,
Zack«, gestand sie. »Der Typ hat einfach nur dagesessen, seine Zeitung gelesen und seine Suppe gegessen, aber er hat mir echt Angst eingejagt. Ich möchte ihn mal überprüfen.«
»Okay. Lass mich wissen, was du herausgefunden hast.«
16
Methodisches Arbeiten und eine Schritt für Schritt geplante Vorgehensweise aufgrund von sorgfältigen Berechnungen und Hypothesen. Das gehörte zum Handwerkszeug seines Berufes. Wissenschaftliche Forschung, selbst auf einem Gebiet, das noch immer als etwas obskur betrachtet wurde. All diese Dinge waren ihm vertraut. All diese Dinge waren für Mac schon immer sowohl eine Art von Beruhigung als auch ein Weg zur Entdeckung gewesen.
Jetzt war ihm zum ersten Mal, seit er diesen Weg eingeschlagen hatte, nicht so ganz wohl dabei.
Er hatte sich bisher nie sonderlich große Sorgen darum gemacht, ein Risiko einzugehen, da speziell auf seinem Fachgebiet ohne eine gewisse Risikobereitschaft nun einmal nichts zu gewinnen war. Aber jetzt war ihm doch etwas unbehaglich zu Mute, denn mit jedem
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