Im Licht der Sterne: Roman (German Edition)
kümmerte.
Sie nahm das Hotel in Augenschein. Im Gegensatz zu den anderen Gebäuden war es aus Stein statt aus Holz. Seine drei reich verzierten Stockwerke, eisernen Balkongitter und spitzen Giebel waren unleugbar romantisch. Der Name passt auch, dachte sie: Magic Inn.
Das Beste, was ihr passieren könnte, wäre, hier einen Job zu kriegen, als Bedienung im Hotel-Restaurant oder als Hauspersonal. Ein Job war absolut vorrangig.
Aber sie konnte sich nicht überwinden, reinzugehen, zu fragen. Sie brauchte noch mehr Zeit, ein bisschen Zeit nur für sich, bevor sie sich den praktischen Lebensnotwendigkeiten zuwandte.
Flatterhaft, hätte Evan gesagt. Zu deinem eigenen Besten, Helen: Sei weniger flatterhaft und dumm. Danke Gott, dass du jemand hast wie mich, der sich um dich kümmert.
Weil seine Stimme so unangenehm in ihren Ohren dröhnte, weil seine Worte heftig an ihrem gerade erstarkten Selbstbewusstsein nagten, drehte sich sich kurz entschlossen um und schlug die entgegengesetzte Richtung ein.
Sie würde verdammt noch mal einen Job finden, wenn und wann sie wollte. Im Moment wollte sie einfach flanieren, Touristin spielen, Entdeckungen machen. Wenn sie die High Street abgegrast hätte, würde sie zurück zu ihrem Auto gehen und eine Insel-Rundfahrt machen. Sie würde sogar darauf pfeifen, sich im Touristenbüro eine Karte von der Insel zu besorgen.
Sie rückte ihren Rucksack zurecht, überquerte die Straße und ließ sich treiben. Sie kam an Kunstgewerbe- und Andenkenläden vorbei und betrachtete deren Schaufenster. Sie mochte die kleinen unnützen, aber hübschen Dinge, die hier ausgestellt waren. Sie würde ihr zukünftiges Heim eines Tages mit lauter nutzlosen, farbenfrohen Dingen ausstaffieren.
Ein Eisladen mit runden Glastischen und Eisenstühlen entlockte ihr ein Lächeln. Eine Familie, vier Personen, saß an einem der Tische und verspeiste mit sichtlichem Vergnügen ihr Eis mit Schlagsahne und bunten Streuseln. Ein Junge mit weißer Mütze und Schürze stand hinter dem Tresen, und ein Mädchen in engen Jeans mit abgeschnittenen Hosenbeinen flirtete mit ihm, während sie ihre Eissorten wählte.
Mit diesem Bild im Kopf spazierte Nell weiter.
Vor dem Buchladen blieb sie stehen und seufzte. Ihr Heim würde auch voller Bücher sein. Keine seltenen Erstausgaben, die nie geöffnet und gelesen wurden. Sie würde alte, zerlesene Bücher und glänzende, neue Taschenbücher, ein totales Mischmasch von Geschichten haben. Eigentlich könnte sie damit auch sofort beginnen. Ein Taschenbuch-Roman würde ihr Gepäck nicht sonderlich beschweren, wenn sie weiterziehen müsste.
Ihr Blick fiel von der Auslage auf die gotischen Buchstaben, die quer über dem Schaufensterglas standen: Buch-Café. Gut, das war perfekt. Sie würde die Bücherstapel inspizieren, ob etwas Lustiges dabei wäre, und ihre Wahl bei einer Tasse Kaffee durchblättern.
Sie trat ein, und auf der Stelle umhüllten sie Blumen- und Kräufterdüfte und Flöten- und Harfenmusik. Nicht nur das Hotel hatte etwas Magisches, dachte Nell sofort, als sie die Schwelle überschritt.
Bücher über Bücher, sortiert nach Themen, waren in tiefblauen Regalen aufgereiht. Beleuchtet wurden sie durch kleine Strahler, die an der Decke befestigt waren und die die Bücher in ihr Sternenlicht tauchten. Die Kasse war ein altes Eichenkabinett mit Schnitzereien geflügelter Feen und Halbmonden.
Eine Frau mit dunklem, gestuftem Haar saß auf einem hohen Stuhl hinter der Theke und blätterte träge in einem Buch. Sie schaute auf, lächelte und legte ihre silbergerahmte Lesebrille beiseite.
»Guten Morgen. Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich würde mich gern ein wenig umschauen, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Gerne. Sagen Sie mir, wenn ich Ihnen behilflich sein kann.«
Sie wandte sich wieder ihrem Buch zu, und Nell stöberte
herum. Auf der anderen Seite des Raumes standen zwei ausladende Stühle vor einem Kamin, dazwischen ein Tisch. Auf ihm stand eine Lampe, deren Fuß eine Frauenfigur war, gekleidet in ein wallendes Gewand, die Arme erhoben. In einigen Regalen lagen Schmuckstücke und Figuren, modelliert aus farbigem Stein, Kristallkugeln, Drachen. Sie wanderte herum, vorbei an Büchern auf der einen Seite, einer Auswahl von Kerzen auf der anderen.
Am Ende des Raumes war eine Wendeltreppe zum zweiten Stock. Sie ging nach oben und fand dort weitere Bücher, weitere Schmuckstücke und das Café.
Ein halbes Dutzend Tische aus poliertem Holz standen vor den Front-Fenstern. An
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