Im Licht der Träume: Drei Romane in einem Band (German Edition)
Kopf, wollte etwas sagen, doch sie hob eine Hand an sein Gesicht. Die Hand glitt durch ihn hindurch, als wäre er ein Geist. Oder sie. »Ich habe dich während der ganzen Zeit geliebt.« Während sie sprach, wich sie langsam zurück. Nebel wallte um ihre Füße. »Ich bin für alle Zeit an dich gebunden.«
Sie hob die Arme, drehte die Handflächen gen Himmel und schloss die Augen. Der Wind brüllte auf wie ein dem Käfig entflohener Löwe, wirbelte ihre flammendes Haar in die Höhe und peitschte durch ihren Umhang.
»Mir ist nur noch wenig Macht geblieben«, rief sie ihm über den tosenden Sturm hinweg zu. »Aber ich kann noch immer den Wind heraufbeschwören. Ich kann noch immer zu deinem Herzen sprechen. Verschließ es nicht vor mir, Calin. Komm zu mir. Rasch. Finde mich. Sonst bin ich verloren.«
Dann war sie weg. Verschwunden. Die Erde bebte unter seinen Füßen, der Himmel tobte. Ein plötzliches Schweigen, tiefe Stille.
Er wachte nach Atem ringend auf. Mit ausgestreckten Händen.
Eins
»Calin Farrell, du brauchst dringend Urlaub.«
Cal zuckte mit der Achsel, nippte an seinem Kaffee und starrte weiterhin brütend aus dem Küchenfenster. Er wusste selbst nicht, warum er gekommen war, nur um sich das Genörgel und die besorgten Bemerkungen seiner Mutter anzuhören und dem Gepfeife seines Vaters zu lauschen, der am Tisch saß und penibel seine Anglerfliegen an den Haken befestigte. Doch er hatte ein tiefes, drängendes Verlangen nach dem Hort seiner Kindheit gespürt, nach ein, zwei gestohlenen Stunden in dem ordentlichen Haus in Brooklyn Heights. Nach seinen Eltern.
»Vielleicht. Ich habe auch schon daran gedacht.«
»Du arbeitest zu hart«, sagte sein Vater, während er sein Werk kritisch beäugte. »Fahr doch mit uns ein paar Wochen nach Montana. Der beste Ort der Welt für das Fliegenangeln. Die Kamera kannst du ja mitnehmen.« John Farrell blickte auf und lächelte. »Betrachte es einfach als Studienurlaub.«
Der Vorschlag war verlockend. Er war zwar nie ein begeisterter Angler wie sein Vater gewesen, aber Montana war wunderschön. Er könnte dort Atem schöpfen, sich entspannen. Und die Unruhe abstreifen. Die Träume.
»Ja, ein paar Wochen an der frischen Luft würden dir gut tun.« Mit zusammengekniffenen Augen musterte
Sylvia Farrell ihren Sohn. »Du siehst blass und müde aus, Calin. Du solltest dieser Stadt eine Zeit lang den Rücken kehren.«
Obwohl Sylvia ihr Leben lang in Brooklyn gewohnt hatte, bezeichnete sie Manhattan immer noch mit leichter Geringschätzung und Verachtung als »diese Stadt«.
»Wie gesagt, ich habe auch schon an einen Urlaub gedacht.«
»Gut.« Seine Mutter schrubbte die Küchentheke. Sie wollten am nächsten Morgen in den Urlaub aufbrechen, und Sylvia Farrell würde nicht eine Krume oder ein Stäubchen zurücklassen. »Du hast zu viel gearbeitet, Calin. Obwohl wir natürlich stolz auf dich sind. Seit deiner Ausstellung im letzten Monat prahlt dein Vater so maßlos mit dir, dass die Nachbarn inzwischen in Deckung gehen, wenn sie ihn sehen.«
»Welcher Vater kommt schon in den Genuss, die Fotografien seines Sohnes im Museum zu bewundern? Besonders gut haben mir die Nackten gefallen«, fügte er augenzwinkernd hinzu.
»Alter Narr«, murmelte Sylvia, doch um ihre Mundwinkel zuckte ein Lächeln. »Tja, als wir dir, damals warst du acht Jahre alt, diese kleine Kamera zu Weihnachten geschenkt haben, wer hätte da gedacht, dass du zweiundzwanzig Jahre später reich und berühmt sein würdest? Aber Reichtum und Ruhm haben ihren Preis.«
Sie umfasste das Gesicht ihres Sohnes mit beiden Händen und betrachtete es mit dem scharfen Blick einer Mutter. Seine Augen waren umschattet, stellte sie fest, und die Wangen eingefallen. Sie sorgte sich um den Mann, den sie aufgezogen
hatte, um den Jungen, der immer ein wenig … anders gewesen war als der Durchschnitt.
»Du zahlst diesen Preis bereits.«
»Mir geht es gut.« Er las die altbekannte Sorge in ihren Augen und lächelte. »Ich schlafe nur nicht sehr gut.«
Es hatte schon früher Zeiten gegeben, erinnerte sich Sylvia, in denen ihr Sohn aus Schlafmangel bleich und hohläugig gewesen war. Sie wechselte über Cals Schulter hinweg einen kurzen Blick mit ihrem Gatten.
»Bist du, ehm, beim Arzt gewesen?«
»Mom, mir fehlt nichts.« Er wusste, sein Ton war zu scharf, zu defensiv. Er bemühte sich, ihn abzumildern. »Es geht mir wirklich gut.«
»Lass den Jungen doch in Ruhe, Syl.« Aber auch John musterte seinen Sohn genau und
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