Im Licht der Träume: Drei Romane in einem Band (German Edition)
von Stress? Aber warum sollte er gestresst sein, wenn seine Karriere sprungartig anstieg? Er war gesund. Erst vor wenigen Wochen hatte er ein komplettes ärztliches Check-up machen lassen.
Aber du hast dem Arzt nichts über die Träume erzählt, entsann er sich. Die Träume, an die du dich beim Erwachen nur noch vage erinnern kannst. Die Träume, die ihn, wie er sich jetzt eingestand, dreitausend Meilen über das Meer geführt hatten.
Nein, verdammt, er hatte dem Arzt nichts erzählt. Diesen Weg würde er nicht wieder einschlagen. In seiner Jugend hatte es genügend Psychiater gegeben, die in seinen Gedanken gebohrt und gestochert und ihm das Gefühl gegeben hatten, verrückt, ausgeliefert und hilflos zu sein. Jetzt war er ein erwachsener Mann und konnte allein mit seinen Träumen fertig werden.
Falls er einen Nervenzusammenbruch haben sollte, wäre das völlig normal und könnte durch Ruhe, Entspannung und einen Ortswechsel kuriert werden.
Allein deshalb war er nach Irland gereist. Einzig aus diesem Grund.
Er ließ den Wagen an und fuhr ohne jedes Ziel los.
Schon als kleiner Junge hatte er diese Träume gehabt. Sehr klare und beängstigend realistische Träume. Von Burgen und Hexen und einer Frau mit wallendem rotem Haar. Sie hatte mit diesem trällernden irischen Unterton in der Stimme zu ihm gesprochen, und manchmal auch in einer Sprache, die er nicht kannte – aber dennoch verstanden hatte.
Da war ein junges Mädchen gewesen – dieselbe Flut roter Haare, dieselben blauen Augen. Sie hatten in seinen Träumen zusammen gelacht, miteinander gespielt – unschuldige Kinderspiele. Seine Eltern waren amüsiert gewesen, als er ihnen von seiner Freundin erzählte. Hatten es als übersteigerte Vorstellungskraft eines typischen Einzelkindes abgetan.
Dafür waren sie umso besorgter gewesen, als er bestimmte Dinge zu wissen schien, Dinge sah, von Orten und Menschen redete, von denen er unmöglich Kenntnis haben konnte. Sie waren beunruhigt, als er keine Nacht mehr durchschlafen konnte – als er zu schlafwandeln begann und mit glasigen Augen im Traum redete.
Nach all den Ärzten, den Therapeuten, den endlosen Sitzungen und jenen prüfenden, besorgten Blicken, von denen Erwachsene meinen, ein Kind könne sie nicht deuten, hatte er schließlich aufgehört, von diesen Dingen zu sprechen.
Und als er älter geworden war, war auch das junge Mädchen herangewachsen. Groß und schlank und anmutig – junge Brüste, schmale Taille, lange Beine. Gefühle und Bedürfnisse,
die nicht mehr so unschuldig waren, hatten sich nun in ihm geregt.
Es hatte ihn geängstigt, und es hatte ihn wütend gemacht. Bis er diese sanfte Stimme, die nachts zu ihm kam, abgewehrt hatte. Bis er sich von dem Bildnis abgewandt hatte, das seine Träume heimsuchte. Schließlich hatte es aufgehört. Die Träume hörten auf. Die blitzartigen Eingebungen versiegten, die ihm halfen, verlorene Schlüssel wiederzufinden, oder ihn dazu veranlassten, einen Augenblick, bevor das Telefon klingelte, zum Hörer zu greifen.
Er lebte gern in der Realität, sagte sich Cal. Er hatte sich dafür entschieden. Und würde sich wieder dafür entscheiden. Er war nur hier, um sich selbst zu beweisen, dass er ein ganz normaler Mann war, der an Überarbeitung litt. Er würde die Atmosphäre von Irland in sich einsaugen und die Bilder, die ihm gefielen, mit seiner Kamera einfangen. Und, falls erforderlich, würde er auch die Pillen schlucken, die ihm der Arzt gegen seine Schlaflosigkeit verschrieben hatte.
Er fuhr entlang der sturmgepeitschten Küste, wo der Wind machtvoll über das Meer fegte und den zaghaft herannahenden Sommer mit eisigem Atem unter Kontrolle hielt.
Regen prasselte gegen die Windschutzscheibe, und über den Boden krochen Nebelschwaden. Es war alles andere als ein warmer Empfang, aber dennoch fühlte er sich zu Hause. Als würde etwas, oder jemand, darauf warten, ihm Obdach vor dem Sturm zu gewähren. Der Gedanke brachte ihn zum Lachen. Ach was, sagte er sich, das war einfach nur die Freude, an einem neuen, unbekannten Ort zu sein. Die Erwartung, neue Motive zu entdecken und diese in Fotografien zu bannen.
Er verspürte das vage Verlangen nach einem Kaffee, einer Mahlzeit, konnte dieses Bedürfnis jedoch mühelos beiseite schieben, da die Landschaft seinen Sinnen reichlich Nahrung bot. Später, sagte er sich. Er würde später bei irgendeinem Pub oder Gasthaus anhalten. Jetzt musste er erst einmal mehr von dieser überwältigenden Landschaft in sich
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