Im Licht des Vergessens: Roman (German Edition)
Sir.«
»Und das Wie?« Der Chief sah dem Commander direkt in die Augen.
»Das Gebäude wurde Stockwerk für Stockwerk evakuiert.« Harrison erhob sich und ging zum Schaubild hinüber. »Ein dreiköpfiges Team hat das Gebäude an dieser Stelle betreten. Die Zivilisten wurden evakuiert und aus dem abgesperrten Gebiet entfernt. Da dieses Gebäude nicht optimal dazu geeignet ist, die Geiselnahme unter Kontrolle zu behalten, wurden Mitglieder des Einsatzkommandos auf dem Dach sowie im dritten Stock postiert. Andere bezogen in dem Nebengebäude südlich davon Stellung, weil man die Front des Spirituosenladens von dort aus am besten im Visier hat. Wieder andere wurden hier postiert, um den Hinterausgang zu überwachen, sowie hier an den Seiten.«
»Jedes dieser Gebäude wurde evakuiert, zumindest dachten wir das, und das gesamte Gelände wurde abgesperrt und bewacht. Während der Verhandlung mit dem Geiselnehmer gab es ein paar Probleme. Zwischenrufe und Drohungen der üblichen Gaffer. Und hier kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen Anwohnern.« Er atmete tief durch und drehte sich dann um. »Es kann sein, dass uns jemand in der ersten, chaotischen Phase durchgerutscht ist. Aber meiner Meinung nach ist es wesentlich wahrscheinlicher, dass sich jemand, der bereits im Gebäude war, in die evakuierte Wohnung geschlichen und dort seine Stellung als Scharfschütze bezogen hat. Unser Ziel bestand darin, die Zivilisten so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen. Unter diesen Umständen kann das Team nicht jeden Schrank inspizieren und unter jedes Bett schauen. Jemand, der nicht entdeckt werden wollte, konnte sich problemlos verstecken und hat es wahrscheinlich auch getan.«
»Jemand, der mit einer AK-47 bewaffnet ist?«
Harrisons Lippen bildeten einen schmalen Strich. »Ja, Sir, anscheinend schon.«
»Chief.« Phoebe sah, wie Dave die Stirn runzelte, als sie sich einschaltete. »Sie fragten nach dem Wer, dem Wie und Wann. Aber bei allem Respekt – sollten wir uns nicht lieber nach dem Warum fragen? Wegen des bekannten Gewaltpotenzials der Gangs, der benutzten Waffe und der Tatsache, dass deren Nummer abgefeilt worden war, können wir annehmen, dass ein Mitglied – oder Sympathisant – der East-Side-Lords dafür verantwortlich ist. Aber ich bin noch mal am Tatort gewesen und hab mich an das Fenster gestellt, aus dem die Schüsse abgefeuert wurden.
Ich habe mir die Schaubilder angesehen, die Berichte gelesen und die Bänder angehört.«
»Dasselbe habe ich auch getan«, gab der Chief zurück.
»Dann ist Ihnen bestimmt auch aufgefallen, Sir, dass dort in diesen Stunden konstant Dutzende von Polizisten und Beamten herumstanden. Direkt in der Schusslinie des Scharfschützen. Und trotzdem wurde auf niemanden von ihnen geschossen. Als Johnson erschossen wurde, wurde kein einziger Polizist getroffen. Fast alle Kugeln trafen den Jungen. Jedes Mitglied unseres Sondereinsatzkommandos wird Ihnen bestätigen, dass das ein äußerst begabter Schütze gewesen sein muss.«
»Der Mann wusste genau, was er tat«, pflichtete ihr Harrison bei und erwiderte Phoebes fragenden Blick.
»Als Verhandlerin und jemand, der sich eingehend mit Verhaltenspsychologie beschäftigt hat, muss ich auch sagen, dass es jemand war, der sich sehr gut im Griff hatte. Warum wollte diese Person Charles Johnson umbringen?«, fuhr sie fort. »Er stand ganz weit unten in der Hierarchie der Gang.«
»Er hat ihr Revier beschmutzt«, meinte der Chief. »Er hat verlangt, dass man ihm ihren Anführer ausliefert. Das ist respektlos.«
»Einverstanden. Also ist es gut möglich, dass ein oder zwei Mitglieder der rivalisierenden Gang versuchen, ihn umzulegen, um ein Exempel an ihm zu statuieren. Aber wenn einer davon bereits im Gebäude war oder anderweitig durch die Absperrung gelangte – und zwar bewaffnet -, spricht viel dafür, dass die Sache sorgfältig geplant war. Das Ganze war von Anfang an geplant, Sir.«
»Soll das eine Verschwörungstheorie werden, Lieutenant?«
Sie hörte die Erschöpfung in der Stimme des Chiefs. Phoebe wusste, dass er mehr Politiker war als Polizist, und Politiker mögen keine Verschwörungstheorien. »Ich will damit nur sagen, dass es auch noch andere Möglichkeiten gibt. Vielleicht hat man Johnson ja auch dazu angestachelt, in den Spirituosenladen zu gehen. Vielleicht war es jemand, der weder zur einen noch zur anderen Gang gehört und den Vorfall nutzen wollte, um Chaos und Aufruhr zu provozieren. Oder aber
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