Im Licht des Vergessens: Roman (German Edition)
auf dem Parkplatz wimmelte es bereits von Autos und Menschen. Phoebe sah Journalisten an der Grundstücksgrenze stehen. Manche führten Interviews, andere versuchten, welche zu erzwingen.
»Es muss noch einen anderen Eingang geben«, sagte Duncan.
Der Presse zu entkommen, war ihre oberste Priorität, also hatte sie sich bereits entsprechend vorbereitet. »Es gibt einen Seiteneingang. Ich hatte vor, dort unbemerkt hinein- und wieder hinauszuschlüpfen. Nur fünf Minuten. Es wird auch eine Abordnung der Polizei hier sein. Das ist so Usus, bei einem Tötungsdelikt – und in diesem Fall geht es natürlich auch ums Image. Ich bin inoffiziell hier.«
»Verstehe.« Er entdeckte einen Parkplatz und warf dann einen Blick auf ihre Absätze. »Kannst du in den Schuhen einen Block weit laufen?«
»Ich bin eine Frau. Wir sind nun mal so.«
Als sie auf dem Bürgersteig standen und er ihre Hand nahm, sah sie zu ihm auf. Und zum zweiten Mal, seit sie sich kannten, dachte Phoebe, Wow, verdammt .
»Was ist?«
»Nichts, nichts.« Sie sah wieder weg.
Das war nicht der richtige Zeitpunkt für Schmetterlinge im Bauch. Sie würden gleich der Mutter eines toten Jungen ihr Beileid bekunden. Und trotzdem.
Das war doch wirklich verrückt.
»Bist du sicher, dass du das tun willst?«
Ehrlich gesagt, war sie sich gar nicht sicher. Wenn es ihr schon zu viel war, einen Welpen zu erziehen, wie sollte sie es dann schaffen, wirklich zu lieben? Aber da er nun mal keine Gedanken lesen konnte, meinte er etwas ganz anderes.
»Ja. Ich will es für Charlie und seine Mutter tun. Und auch für mein eigenes Seelenheil. Ich brauche dieses Ritual. Es geht mir nicht gut, wenn ich wütend und traurig bin und diese Gefühle lange mit mir herumschleppen muss.«
Als sie eintraten, fuhren sämtliche Köpfe herum, und alle verstummten. Sie waren nicht die einzigen Weißen hier, bemerkte Phoebe. Aber ihr Gesicht war im Fernsehen gewesen. Sie sah so etwas wie Wiedererkennen in den auf sie gerichteten Blicken aufblitzen, aber auch unverhohlene Abneigung.
Die Menge teilte sich, um einem großen Mann Platz zu machen, vielleicht wich sie auch nur vor der Wut aus, die er ausstrahlte. »Sie haben hier nichts zu suchen. Sehen Sie zu, dass Sie von hier wegkommen, bevor …«
»Du hast hier gar nichts zu sagen.« Opal drängte sich nach vorn. Sie wirkte zehn Jahre älter als in dem Diner. Ihre Augen sahen aus wie erloschen. »Du sprichst weder im Namen meines Jungen noch in meinem Namen.«
»Das hier ist für unsere Familie, für unser Viertel.«
»Ausgerechnet du redest plötzlich von Familie, Bruder? Wo war denn meine Familie, als ich sie gebraucht habe? Du warst in Charlotte. Du gehörtest nicht zu unserem Viertel . Du sprichst nicht in meinem Namen.« Sie straffte die Schultern. »Lieutenant MacNamara.«
»Mrs. Johnson, es tut mir leid, dass ich hier so einfach reinplatze. Ich wollte Ihnen mein Beileid aussprechen und Charlie die letzte Ehre erweisen. Ich bleibe auch nicht lange.«
»Lieutenant MacNamara.« Opal trat einen Schritt vor und umarmte Phoebe. »Danke, dass Sie gekommen sind«, sagte sie leise. »Danke, dass Sie es nicht vergessen haben.«
Phoebe bekam einen Kloß im Hals vor lauter Rührung. In ihren Augen brannten Tränen, und ihr Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. »Ich werde das nie vergessen.«
»Wenn Sie jetzt bitte mitkommen würden?« Opal nahm Phoebes Hand und drehte sich um. Der Mann, der soeben gesprochen hatte, versperrte ihnen den Weg. »Mach mir keine Schande. Mach mir keine Schande, sonst brauchst du mir nie mehr unter die Augen zu treten.«
»Deine Söhne sind tot, Opal.«
»Meine Söhne sind tot. Und ich möchte jetzt etwas sagen.« Sie bahnte sich einen Weg durch die Trauernden bis zur Vordertür.
Ihre Hand umklammerte Phoebes zitternde Finger.
»Opal …«
»Ich habe mich vor so vielen Dingen gefürchtet«, sagte Opal. »Beinahe mein ganzes Leben lang. Wenn ich tapferer gewesen wäre, wäre jetzt vielleicht alles anders. Aber sicher weiß ich das nicht, und es fällt mir schwer, Gottes Willen nicht zu hinterfragen. Aber eines werde ich tun, eines werde ich jetzt tun. Und vielleicht habe ich dann nicht mehr solche Angst.«
Als sie mit Phoebe aus der Vordertür trat, schrien die Journalisten laut auf und richteten ihre Kameras auf sie. Ihre erste Priorität konnte sie jetzt vergessen. Aber hier stand eine Frau, die beide Söhne verloren hatte, die sich an sie klammerte und sich einen Dreck um das Protokoll
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