Im Licht des Vergessens: Roman (German Edition)
sich beim diensthabenden Polizisten melden und losfahren.
Als sie die Küche betrat, fand sie Essie am Herd vor. Beide Frauen bekamen einen Schreck.
»Ich dachte, du bist oben und schläfst«, sagte Phoebe.
»Dasselbe dachte ich eigentlich von dir.« Essie fasste sich ans Herz. »Wenn du vorhast, mich zu erschießen, anstatt mich zu Tode zu erschrecken, dann nur zu. Erschieß mich«, sagte sie und wies mit dem Kinn auf die Hand, die Phoebe bereits an ihrem Waffenholster hatte.
»Tut mir leid.« Phoebe zwang sich, die Hand wegzunehmen. »Es ist nicht einmal sechs Uhr, Mama. Warum bist du nicht oben und schläfst?« Als sie merkte, wie ihre Mutter sie ansah, schüttelte Phoebe nur den Kopf und ging zu ihr. »Mama.« Sie umarmte Essie und wiegte sich mit ihr hin und her. »Das ist ja eine schöne Bescherung.«
»Du hast dich fürs Büro angezogen.«
Phoebe hörte nicht auf, sie zu umarmen, sie hin und her zu wiegen, machte aber wieder die Augen auf. »Ich muss.«
»Ich wünschte, du würdest hierbleiben. Wirklich. Ich wünschte … Hör auf, mich zu tätscheln.« Essies Stimme wurde scharf, während sie sich umso fester an Phoebe klammerte. »Du bist immer noch mein kleines Mädchen, und ich wünschte, ich wüsste dich hier in Sicherheit. Meine ganze Familie ist unter diesem Dach versammelt, und ich wünschte … Ich weiß, wie krank und egoistisch das ist, aber ich wünschte mir weiß Gott, ich könnte euch alle hierbehalten.«
Jetzt machte Essie sich los. »Aber mir ist klar, dass das nicht geht. Warte, ich hol dir Kaffee.«
Phoebe wollte schon sagen, dass sie sich selbst welchen holen konnte, verkniff sich die Bemerkung aber gerade noch rechtzeitig. Wenn ihre Mutter etwas zu tun hatte, war sie abgelenkt und musste sich nicht mehr solche Sorgen machen. »Ich weiß, dass du Angst hast, Mama.«
»Natürlich habe ich Angst. Es wäre dumm, keine Angst zu haben. Dieser Nichtsnutz Roy wurde in die Luft gesprengt.« Sie sah sich nach ihr um, während sie eine Tasse aus dem Schrank holte. »Ich müsste eigentlich ein schlechtes Gewissen haben, so etwas zu sagen, aber ich habe kein schlechtes Gewissen. Du hast ihm kaum Vorwürfe gemacht, soweit ich weiß, aber ich umso mehr. Ich habe Angst um dich, Kleines. Um alle hier.«
Sie schenkte Kaffee ein, gab Sahne und Zucker hinzu, genau wie Phoebe es mochte. »Ich weiß, dass du befürchtest, mein Zustand könnte sich verschlechtert haben.«
»Das befürchte ich tatsächlich«, gab Phoebe zu. »Ich bin immer noch dein kleines Mädchen, stimmt’s? Nun, und du wirst immer meine Mama bleiben.«
»Setz dich, Kleines. Ich mach dir Frühstück.«
»Ich habe keine Zeit zum Frühstücken. Ich werd bloß einen Joghurt essen.«
»Du hasst dieses Zeug.«
»Ich weiß. Aber ich versuche, Geschmack daran zu finden.« Entschlossen öffnete Phoebe den Kühlschrank und griff aufs Geratewohl nach einem Joghurt. Nachdem sie ihn aufgerissen und sich einen Löffel genommen hatte, lehnte sie sich gegen die Küchentheke. »Nach allem, was passiert ist, musst du zu Recht Angst haben. Aber mir ist aufgefallen, dass du dich nicht mehr in den Garten oder auf die vordere Veranda traust und …«
»Damit habe ich schon länger Probleme.« Essie griff träge nach einem Geschirrtuch, um damit über die bereits makellose Arbeitsfläche zu wischen. »Mit der Veranda und dem Schlafzimmerbalkon ganz besonders. Herzrasen«, sagte sie. »Auch wenn ich weiß, dass das alles nur psychisch ist, bekomme ich deswegen nicht weniger Herzrasen. Aber was du nie verstanden hast, ist, dass ich ganz zufrieden in diesem Haus bin. Ich brauche die Außenwelt nicht.«
Phoebe aß ein wenig Joghurt. Er schmeckte säuerlich. »Die Außenwelt?«
»Ich habe mir hier eine schöne Welt geschaffen, und wenn ich mehr über die Außenwelt wissen muss, gibt es immer noch den Computer. Bitte Schätzchen, ich mach dir ein Rührei.«
»Das ist schon in Ordnung so.« Sie griff nach ihrem Kaffee, um den sauren Geschmack hinunterzuspülen. »Hast du Panikattacken, wenn ich nicht da bin?«
»Keine wirklich schlimmen. Nur hin und wieder einen Anflug. Phoebe, es gibt nur einen Grund, warum ich mir wünsche, durch diese Tür treten zu können. Und zwar, damit du hier weg kannst, wenn du das willst. Damit du dieses Haus verlassen kannst. Wenn ich es könnte, würdest du es dann verlassen?«
»Mama, ich hab jetzt keine Zeit, über so etwas zu reden.«
»Es ist noch nicht mal halb sieben, und wenn du in Eile bist, brauchst du mir nur
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