Im Licht des Vergessens: Roman (German Edition)
ehrlich.«
»Es geht dir nicht gut, niemandem hier geht es gut. Aber wir brauchen alle mal eine Pause und müssen essen und schlafen.« Sie kam zum Schreibtisch. »Deine Mutter und deine Tochter sollten sehen, dass du etwas isst und schläfst, wenn auch nur stundenweise.«
»Na gut, ich komme runter. Ava, ich weiß, dass du diesen Sommer noch mit Steven durch den Westen reisen willst. Ich habe mir überlegt, dass du das lieber etwas vorziehen solltest. Das Semester ist sowieso in wenigen Tagen zu Ende. So kämst du hier weg, könntest ihn sogar noch früher sehen und …«
»Damit ich in Sicherheit bin, falls man es auch auf mich abgesehen hat? Da wir hier alle auf ungewisse Zeit festsitzen, finde ich es nicht sehr klug von dir, dich schon am ersten Tag mit mir anzulegen.«
»Ich will mich nicht mit dir anlegen, Ava. Ich will mich nur um eine Person weniger sorgen müssen – beziehungsweise um zwei Personen weniger, wenn man bedenkt, dass Steven auch noch nach Hause kommen wollte. Du würdest mir also einen großen Gefallen tun, wenn ihr jetzt schon in Urlaub fahren würdet.«
Ava hob den Kopf. »Aber den Gefallen tue ich dir nicht, Phoebe. Ich lasse weder Essie noch Carly im Stich, und das ist mein letztes Wort. Wenn es nur um dich ginge, würde ich fahren, denn eine selbstgenügsamere Person als dich habe ich nie kennengelernt. Selbstgenügsam bis zur Schmerzgrenze, so wie jetzt.«
Phoebe rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. »Auch du solltest dich nicht gleich am ersten Tag mit mir anlegen.«
»Dann kann ich nur hoffen, dass sich das vermeiden lässt, und dir sagen, dass ich bereits mit Steven geredet habe. Ich habe ihm gesagt, dass er mit der Familie seines Zimmergenossen, mit dem er sich so gut versteht, nach Bar Harbor fahren soll. Er wird nicht vor Juni nach Hause kommen. Und wenn bis dahin nicht alles wieder normal sein sollte …« Ava fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. »… werde ich mir was anderes ausdenken, um ihn davon abzuhalten, nach Hause zu kommen.«
»Du hast ihm also nicht gesagt, warum du so begeistert davon bist, dass er nach Maine fährt?«
»Er ist mein Kleiner, so wie Carly deine Kleine ist, und zwar unabhängig vom Alter. Ich will ihn da nicht mit hineinziehen. Essie braucht mich, und obwohl Carly etwas von deiner Selbstgenügsamkeit besitzt, ist sie noch ein kleines Mädchen, das mich ebenfalls braucht. Und auch du brauchst mich, Phoebe, also behandle mich nicht länger wie jemanden, der dir zur Last fällt, anstatt dir zu helfen.«
»Wenn ich dich nicht so schätzen würde, würde ich dich nicht in Sicherheit bringen wollen. Du könntest Carly mitnehmen und …« Phoebe schlug die Hände vors Gesicht. »Ich weiß, dass das nicht funktioniert, ich weiß es, aber deswegen höre ich noch lange nicht auf, es mir zu wünschen. Wenn ich Carly wegschicken würde, wäre sie noch aufgeregter und verängstigter als ohnehin schon. Mama würde ausflippen. Ich weiß das alles, Ava. Genauso wie ich weiß, dass ich Mama nicht Tag für Tag im Haus allein lassen kann. Ich brauche dich hier, aber ich liebe dich und wünschte, du könntest wegfahren.«
»Siehst du, und schon habe ich keine Lust mehr, mich mit dir anzulegen.« Sie ging um Schreibtisch und Stuhl herum, umarmte Phoebe von hinten und schmiegte ihre Wange an die ihre. »Wir sind alle mit den Nerven am Ende.«
»Genau das will er damit bezwecken«, sagte Phoebe leise. »Wer immer das ist – genau das will er bezwecken.«
»Aber wenn wir uns jetzt zu einem schönen Abendessen hinsetzen, zeigen wir ihm gewissermaßen den Stinkefinger. Ich hab ein Hühnchen im Ofen und Josie beigebracht, wie man Kartoffelgratin macht.«
»Dann werde ich ihm zweimal den Stinkefinger zeigen und mir mehr als eine Portion von diesem verdammten Kartoffelgratin nehmen.«
»Ich würde lieber nur eine Portion essen und noch etwas Platz für ein Stück Erdbeertorte lassen.«
»O Gott, warum quälst du mich so?«
»Wenn ich nervös bin, koche ich«, entgegnete Ava gelassen. »Und heute habe ich ziemlich viel gekocht.«
Es war atemberaubend gewesen. Überwältigend perfekt – er konnte es selbst kaum fassen. Seit er diesen jämmerlichen Roy in den Kofferraum seines Mercedes geworfen hatte, bis hin zu jenem Moment, in dem er ihn zur Hölle gejagt hatte, war jede Minute, jeder Atemzug ein einziger Ecstasy-Flash gewesen. Noch besser, als diesen Gangtypen abzuknallen. Das war viel zu schnell vorbei und längst nicht so dramatisch gewesen.
Trotzdem
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