Im Licht des Vergessens: Roman (German Edition)
hätte er gern Phoebes Gesicht gesehen, als Roy in die Luft geflogen war. Das wäre das Tüpfelchen auf dem i gewesen.
Dafür sah er es sich jetzt an, das Gesicht, das er an die Wand seiner Werkstatt gehängt hatte. Ein Gesicht von vielen. Alle Bilder zeigten sie, Phoebe MacNamara. Wie sie von einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause kam, nachdem sie sich in das Leben wildfremder Menschen eingemischt hatte. Wie sie dastand und mit einer ihrer bescheuerten Nachbarinnen redete. Wie sie mit ihrem verzogenen Blag in den Park ging oder die River Street entlangspazierte. Wie sie Speichel mit diesem reichen Geldsack tauschte, von dem sie sich ficken ließ.
»Jetzt bist du ganz schön ins Schwitzen geraten, was, du Schlampe? Und ob du das bist! Und du wirst noch literweise Schweiß vergießen, bis ich mit dir fertig bin.«
Sie würde versuchen, dahinterzukommen, dachte er. Doch an diesem Fall würde sie sich die Zähne ausbeißen. Wer würde bloß den armen Roy umbringen wollen? Wer konnte nur so etwas Grausames tun? Buhu!
Als er ihre Stimme in seinem Kopf hörte, lachte er so sehr, dass er sich setzen musste. Zu dumm, dass sie und dieser Geldsack nicht schon länger fickten. Wenn er etwas mehr Zeit gehabt hätte, etwas mehr hätte recherchieren können, wenn er sich nur ein bisschen mehr angestrengt hätte, hätte er den neuen Lover statt ihres Exmanns erwischen können. Aber vielleicht fiel ihm diesbezüglich ja noch was ein. Er brauchte nur etwas nachzudenken, zu überlegen. Seine Chance zu ergreifen oder eine herbeizuführen.
»Wir werden sehen«, murmelte er. »Ich hab einen Zeitplan für uns aufgestellt, Phoebe.« Er hob erneut sein Bier. »Der Countdown läuft. Die Bombe tickt. Und beim letzten Ticken wird alles in einer einzigen Wolke aus Rauch und Blut aufgehen.«
Genau wie sie, dachte er, während sich ein anderes Gesicht vor sein inneres Auge schob. Und mit diesem schmerzlichen Bild vor Augen weinte er.
Nachdem sie zu Abend gegessen hatten und ihre Tochter wohlbehalten im Bett lag, nachdem ihr Captain sie ein letztes Mal angerufen hatte, starrte Phoebe auf ihre Akten. Im Moment spürte sie nichts als Leere, so, als sei alles Leben aus ihr gewichen.
Sie musste da durch, musste begreifen. Wenn sie sich erst wieder konzentrieren konnte, konnte sie sich auch wieder mit den Namen, Fällen und Motiven beschäftigen. Aber diese Leere blieb und drohte sie vollständig zu verschlingen.
Sie griff zum Telefon und wählte Duncans Nummer, ohne recht zu wissen, warum. Ohne zu wissen, warum sie innerlich zu zittern begann, als er dranging.
»Ich … Duncan.«
»Phoebe. Gerade hab ich an dich gedacht. Und überlegt, ob ich dich anrufen oder lieber noch eine Weile in Ruhe lassen soll. Bist du zu Hause?«
»Ja.« Die Hand, die das Handy hielt, drohte ebenfalls zu zittern. »Ich bin zu Hause. Und du?«
»Ja. Ist das ein Kontrollanruf?«
»Ich will nicht …« Ja, was? »Ich will mich nicht aufdrängen.«
»Hör auf damit. Normalerweise würde ich fragen, was los ist, aber das ist ja mehr als offensichtlich. Gibt es Neuigkeiten?«
»Ich habe gerade mit Dave telefoniert. Alle sind hier in Sicherheit, so gut es eben geht. Ich wollte sie nicht belasten, nicht wenn … Puh. Also hab ich dich angerufen. Tut mir leid, ich sollte eigentlich …«
»Was hat Dave dir denn so Belastendes erzählt?«
»Du durchschaust mich wirklich schnell. Das gefällt mir an dir. Irgendwann wird mich das wahrscheinlich nerven. Falls es je dazu kommen sollte. Er hat angerufen, um mir zu sagen … Er fand, ich sollte wissen, dass … Moment.« Sie ließ das Telefon sinken und versuchte ihre Atmung wieder zu beruhigen. »Man hat festgestellt, dass Roy mit einer Zeitbombe verkabelt war. Es war eine Zeitbombe. Die Fernbedienung war nur für den Notfall gedacht, oder für den Fall, dass er die Dinge beschleunigen will. Die Bombe war so eingestellt, dass sie um Viertel vor zwei losgeht. Er hatte nie vor, Roy am Leben zu lassen. Egal, was ich gesagt oder getan hätte – es wäre immer so ausgegangen, wie es ausgegangen ist.«
Am anderen Ende der Leitung entstand ein Schweigen, und sie hörte, wie Duncan hörbar ausatmete. »Er hat genügend Zeit einkalkuliert, damit du noch rechtzeitig eintreffen kannst. Genügend Zeit, um mit dir spielen zu können. Er wollte, dass du zusiehst. Er wollte, dass du dabei bist. Aber damit erzähl ich dir wohl nichts Neues, Phoebe.«
»Er wollte, dass ich mit ihm verhandle, ihn anflehe und anbettle. Er wollte
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