Im Licht des Vergessens: Roman (German Edition)
Nichte.«
»Sie?« Er wurde leichenblass und anschließend puterrot. »Ich wusste gar nicht, dass überhaupt verhandelt wurde.« Seine Stimme klang brüchig.
»Sie haben sich nie nach den genauen Umständen erkundigt?«
»Ich … Als ich herkam … waren wir alle in einer Art Schockzustand, wir waren in Trauer. Ich sah alles wie verschwommen. Dann musste ich wieder zurück, meinen Dienst ableisten. Als ich nach meiner Entlassung nach Hause kam, wollte ich nichts mehr davon wissen. Ich wollte nicht zurückblicken. Ich wollte … ich wollte …«
»Zu denjenigen gehören, die Leben retten, die Menschen in Schwierigkeiten helfen.«
»Ja, Ma’am«, rang er sich nach einer Weile ab und nickte Liz zu. »Sie haben mich gefragt, wo ich letzte Nacht war. Ich hab bei meiner Freundin übernachtet. Hier.« Er holte Block und Stift heraus. »Hier ist ihr Name, ihre Adresse. Wollen Sie sonst noch etwas wissen?«
»Nein, das reicht. Danke, Officer Sanchez.«
Als sie den Zettel nahm, griff er in seine Tasche und zog seinen Geldbeutel heraus. »Marissa ist jetzt zehn. Das ist ihr Foto.«
Er klappte den Geldbeutel auf, und Phoebe sah eine dunkelhaarige, dunkeläugige kleine Schönheit. »Sie ist hinreißend.«
»Sie sieht aus wie ihre Mutter.« Er verstaute seinen Geldbeutel und gab ihr die Hand. »Ich danke Ihnen im Namen meiner Schwester.«
»Das Leben ist wirklich komisch, was?«, bemerkte Liz, als sie den breiten Weg zu Phoebes Auto zurückliefen. »Du hast sein ganzes Leben verändert. Du hast ihn nie kennengelernt und bis heute nie mit ihm gesprochen. Aber was er heute tut, ja was er heute ist, liegt unter Umständen nur an dem, was du vor fünf Jahren getan hast.«
»Kann sein. Andererseits hat die Interpretation meines Verhaltens in der Vergangenheit auch dazu geführt, dass zwei Menschen sterben mussten.«
Liz folgte Phoebes Blick und sah das Haus in der Jones Street. »Willst du kurz vorbeischauen und sehen, ob alles in Ordnung ist?«
»Nein. Reden wir lieber mit dem Ehemann, um die Sache abzuschließen. Dann machen wir mit Brentine weiter.«
Delray war ein stiller Mann mit sanften Augen. Nach fünf Minuten beschloss Phoebe, dass er es nicht mal über sich brächte, eine Spinne zu zertreten, geschweige denn kaltblütig einen Menschen zu ermorden.
Joshua Brentine dagegen vermittelte ihr einen ganz anderen Eindruck.
Er ließ sie in seinen Geschäftsräumen mit Flussblick zwanzig Minuten an der Rezeption warten. Wolken, die aussahen wie blaue Flecken, zogen von Nordosten her auf. Bald würde ein Gewitter losbrechen.
Brentines auffallend schöne, schmalhüftige Assistentin führte sie in ein Büro mit der besten Aussicht auf den Fluss. Es war eher eingerichtet wie ein elegantes Wohnzimmer und wirkte nicht wie ein Ort, an dem große Geschäfte abgeschlossen werden.
Die Mischung aus Eleganz und Machtgehabe charakterisierte den Mann gut, dachte Phoebe, der aussah, als sei er bereits im Maßanzug zur Welt gekommen. Sein goldbraunes Haar bildete eine Welle über der hohen, aristokratischen Stirn, und seine braunen Habichtaugen ließen nichts von dem Lächeln erkennen, das sein Mund vortäuschte.
»Es tut mir leid, dass ich Sie so lange warten ließ, meine Damen.« Er erhob sich hinter seinem antiken Schreibtisch und zeigte auf eine Sitzgruppe, die aus einem geschwungenen Sofa und den dazugehörigen Sesseln bestand. »Aber ich habe heute ziemlich viele Termine.«
»Wir wissen es sehr zu schätzen, dass Sie sich Zeit für uns nehmen, Mr. Brentine. Ich bin Lieutenant MacNamara, und das ist Detective Alberta.«
»Bitte nehmen Sie doch Platz. Ich muss gestehen, dass ich keine Ahnung habe, warum mich heute zwei derartig attraktive Angestellte des öffentlichen Dienstes mit ihrem Besuch beehren.«
»Der Bankraub, der mit dem tragischen Tod Ihrer Frau endete, spielt bei aktuellen Ermittlungen wieder eine Rolle.«
»Ach ja?« Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und machte ein höflich-verwirrtes Gesicht. »Inwiefern?«
»Ich darf Ihnen über laufende Ermittlungen keine Auskunft geben. Aber aus unseren Akten geht hervor, dass Sie zum Zeitpunkt des Todes Ihrer Frau nicht in Savannah waren.«
»Das stimmt. Ich war geschäftlich unterwegs. In New York.«
Phoebe sah sich in seinem Büro um. »Sie sind bei Ihrem Beruf sicherlich häufig unterwegs.«
»Ja, das bin ich auch.«
»Die Bank, in der Ihre Frau umgebracht wurde … Stimmt es, dass Sie die damals weder beruflich noch privat genutzt haben?«
»Nein, ich
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