Im Licht des Vergessens: Roman (German Edition)
schwieg kurz, um aus ihrer Wasserflasche zu trinken. »Genauso ist es möglich oder sogar sehr wahrscheinlich, dass der Unbekannte eine Ausbildung bei der Polizei oder beim Militär absolviert hat. Er weiß, wie wir arbeiten – so gesehen kann es sein, dass er uns bewusst Kopfzerbrechen machen möchte. Er verfügt über eine entsprechende Ausbildung. Er hat es geschafft, sich bei der Johnson-Sache durch die Absperrung zu schummeln, sein Opfer niederzuschießen und sich wieder davonzustehlen, ohne eine einzige Spur zu hinterlassen.«
»Vielleicht trug er eine Uniform«, schlug Sykes vor. »Oder er hatte einen Dienstausweis.«
»Ja. Er ist an den Wachposten vorbei ins Gebäude und in Reeanna Curtis’ Wohnung gelangt. Sie war geräumt worden, und sie war bereits mit ihren Kindern hinausgeeilt. Sie weiß nicht mehr, ob sie hinter sich abgeschlossen hat oder nicht. Wie dem auch sei, er ist reingekommen. Er hat sich diese Wohnung ausgesucht, dieses Fenster. Warum?«
»Weil er wusste, dass man von dort aus eine perfekte Sicht hat und dass sie das Spezialeinsatzkommando nicht benutzen würde.«
»Das glaube ich auch.« Sie wandte sich wieder der Tafel zu. »Die rosa Rosen auf dem Grab – die wir leider nicht zurückverfolgen konnten -, sprechen für eine große emotionale Bindung an eine Frau, höchstwahrscheinlich an eine tote Frau. Das sind die Namen aller weiblichen Opfer aus Krisensituationen, wo ich als Verhandlerin zugegen war – für dieses Revier und davor für das FBI.«
»Brenda Anne Falk, Selbstmord. Ihr Mann hat mit der Sache nichts zu tun. Sie hat einen Bruder und einen Vater. Beide hielten sich während Roys Entführung und dem Mord nachweislich in Mississippi auf. Noch gibt es keine Hinweise auf andere Personen, die ihr nahestanden und ein Motiv oder die passende Gelegenheit gehabt hätten. Diese Linie führt zu weiteren Polizeikollegen, die laut Protokoll mit diesem Fall zu tun hatten. Soweit wir wissen, unterhielt niemand von ihnen private Beziehungen zu Brenda Falk.«
»Vielleicht hat der Unbekannte auch gar keine Beziehung zu den Opfern«, wandte Sykes ein. »Vielleicht ist es ein Polizist oder FBI-Angehöriger, dem gekündigt wurde. Und der von diesen Fällen erfahren hat.« Er wies mit dem Kinn auf die Tafel. »Und/oder Sie, Lieutenant, einfach nur vom Hörensagen kennt.«
»Dann dürfte es noch schwerer werden, ihn zu finden. Wenn wir chronologisch vorgehen, ist das Opfer Nummer zwei Vendi, Christina. Sie gehörte einer Organisation namens ›Sunset‹ an, einer kleinen terroristischen Splittergruppe. Schlecht organisiert und unterfinanziert. Trotzdem gelang es ihr, während einer Dinnerparty ins Haus des Vorstandsvorsitzenden von Gulfstream Aerospace einzudringen und dort fünfzehn Geiseln zu nehmen.«
»Daran kann ich mich noch erinnern.« Nably zeigte auf sie. »Sie waren die Verhandlerin.«
»Genau. Die Forderungen waren so radikal und extrem wie die ganze Gruppe und ebenso schlecht durchdacht. Nach einer mehr als zwölfstündigen Verhandlung, bei der sich herausstellte, dass mindestens eine Geisel schwer verletzt, wenn nicht sogar tot war, beschloss das Spezialeinsatzkommando, das Haus zu stürmen.«
»Sie haben sie dazu gebracht, die Kinder und eine Schwangere freizulassen. Daran kann ich mich noch erinnern.«
»Sie erklärten sich bereit, die beiden kleineren Kinder des Vorstandsvorsitzenden und einen weiblichen Gast, der im siebten Monat schwanger war, freizulassen, womit noch zwölf Geiseln übrig waren. Das Spezialeinsatzkommando schaffte es, sich über ein Fenster im zweiten Stock Einlass zu verschaffen, und erschoss zwei Geiselnehmer. Vendi eröffnete das Feuer und wurde ausgeschaltet. Der einzige überlebende Terrorist wurde in Gewahrsam genommen. Er sitzt noch heute im Gefängnis.«
Sie wusste noch genau, wie schrecklich das gewesen war. Die Schreie, das Mündungsfeuer.
»Vendis Vater diente in der Army, bevor er kürzlich in Pension ging. Er hat ihr Verhalten immer missbilligt und war im fraglichen Zeitraum nachweislich weder in Savannah noch in Hilton Head. Allerdings kann es in diesem Fall noch weitere Verbindungen zur Army beziehungsweise zu verbleibenden Mitgliedern der sich aufgelösten Terrorgruppe geben.«
Sie zupfte an einer Strähne. »Ich hab das FBI gebeten, sich darum zu kümmern. Ich weiß«, sagte sie, als sie ihre Gesichter sah, »dass das unser Fall ist. Aber das FBI hat einfach das bessere Personal für solche Ermittlungen. Die Nächste ist Delray,
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