Im Licht des Vergessens: Roman (German Edition)
in einem Buch. »Na gut, den ungefähren Grund kenne ich schon, zumindest glaube ich, ihn zu kennen. Ich glaube, dass er bösartig ist, ein ganz gemeiner Kerl. Und dass er es nicht mag, wenn man ihm sagt, was er tun oder lassen soll, erst recht nicht, wenn das von einer Frau wie deiner Mutter kommt. Also hat er versucht, ihr Angst einzujagen und sie einzuschüchtern. Aber weil das nicht so funktionierte, wie er sich das vorgestellt hat, wurde er noch wütender. Ich glaube, er wollte ihr wehtun, ihr zeigen, wer hier der Boss ist. Und dann ist die Situation außer Kontrolle geraten.«
»Ich finde, er ist ein Arschloch.«
»Ja, das auch. Aber jetzt ist er ein Arschloch, das im Gefängnis sitzt, und zwar für eine ganze Weile.«
Sie dachte darüber nach, während sie die Cola trank, die er ihr gebracht hatte.
»Im Fernsehen wird der Bösewicht meist erschossen. Das Einsatzkommando erschießt ihn.«
»Mir ist es lieber, wenn niemand erschossen wird. So, wie du dich in dem Haus verhalten hast, hat es auch funktioniert, und zwar ohne dass jemand sterben musste. Der Tod ist keine Lösung, Phoebe. Ich weiß, dass du müde bist und deine Mutter sehen willst.« Er stand auf und zog eine Visitenkarte aus seiner Tasche. »Du kannst mich jederzeit anrufen. Wenn du noch mal über alles reden willst, Fragen hast oder Hilfe brauchst – ruf mich einfach an.«
Sie nahm die Karte und las: Detective David McVee. »Und für Carter gilt das auch? Und für Mama?«
»Aber natürlich. Für jeden von euch, Phoebe, und zwar jederzeit.«
»Okay, danke. Danke für den Hamburger und die Pommes.«
»Es war mir ein Vergnügen. Ehrlich.« Als er ihr diesmal die Hand gab, schüttelte er sie. »Pass gut auf dich und deine Familie auf.«
»Das werd ich auch.«
Nachdem er gegangen war, steckte Phoebe seine Karte in die Hosentasche. Sie rollte die Papiertüte zu, um das Essen, das Dave für Carter mitgebracht hatte, warm zu halten.
Sie ging zum Fenster und sah hinaus. Die Sonne war inzwischen aufgegangen. Sie wusste nicht, wann es gedämmert hatte oder wie lange es schon hell war. Aber sie wusste, dass die dunklen Stunden vorbei waren.
Als die Tür aufging und ihre Mutter vor ihr stand, warf sich Phoebe sofort in ihre weit ausgebreiteten Arme.
»Mama, Mama, Mama.«
»Mein liebes Mädchen. Meine Kleine.«
»Dein Gesicht. Mama …«
»Ist nicht so schlimm. Es geht mir gut.«
Wie konnte es ihrer Mutter gut gehen, wenn eine riesige genähte Wunde ihre Wange verunzierte und ihre zarte Haut entstellte? Wenn ihre sonst so strahlend blauen Augen trüb und verquollen dreinsahen?
Essie legte die Hand auf Phoebes Schulter. »Wir sind alle in Sicherheit. Und das ist die Hauptsache. Ach, Phoebe, es tut mir so leid.«
»Mama, es war nicht deine Schuld. Dave hat das auch gesagt.«
»Ich habe Reuben in unser Leben gelassen. Ich habe ihm Tür und Tor geöffnet. Zumindest daran bin ich schuld.« Sie ging zu Carter hinüber, beugte sich über ihn und schmiegte ihre Wange gegen die seine. »O mein Gott, wenn euch auch nur das Geringste passiert wäre – ich weiß nicht, was ich tun würde. Du hast ihn da rausgeholt«, murmelte sie. »Du hast Carter aus dem Haus gerettet. Von mir kann ich das nicht behaupten.«
»Nein, Mama …«
»Von nun an sehe ich dich mit ganz anderen Augen, Phoebe.« Essie richtete sich auf. »Wenn ich dich jetzt ansehe, sehe ich zwar immer noch mein kleines Mädchen, meine kleine Tochter, aber eben auch eine Heldin.«
»Du hast ihn zu Boden geworfen«, rief ihr Phoebe wieder in Erinnerung. »Ich finde, du bist auch eine Heldin.«
»Am Schluss vielleicht. Nun, ich wecke Carter nur ungern, aber ich will nicht länger in diesem Krankenhaus bleiben.«
»Dürfen wir jetzt wieder nach Hause?«
Essie strich Carter übers Haar und sah ihre Tochter erneut an. »Wir werden nie wieder dorthin zurückkehren. Ich möchte dieses Haus nie mehr betreten. Es tut mir leid. Aber ich würde mich dort nie wieder sicher fühlen.«
»Aber wo gehen wir dann hin?«
»Wir werden bei meiner Cousine Bess wohnen. Ich hab sie angerufen, und sie hat gesagt, dass wir kommen dürfen.«
»In das Riesenhaus?« Allein bei der Vorstellung riss Phoebe die Augen auf.
»Aber du und Bess, ihr redet doch kaum miteinander. Du magst sie doch nicht mal.«
»Heute Morgen ist sie für mich die liebste Person auf der Welt, von dir und Carter einmal abgesehen. Außerdem müssen wir ihr dankbar sein, Phoebe, dass sie uns aufnimmt, jetzt, wo wir es am dringendsten
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