Im Licht des Vergessens: Roman (German Edition)
Taxizentrale.«
»Aber?«
»Richtig: Ich beende gerade meine Schicht, als er reinkommt. Er gibt mir zwanzig Dollar. Ich bin baff, dass er überhaupt gekommen ist, und zwanzig Dollar statt acht sind wirklich übertrieben. He, Kumpel, sag ich, zehn sind genug, danke. Aber er besteht auf den zwanzig. Also sage ich, na gut, dann trinken wir von den restlichen zehn eben ein paar Bier. Und das haben wir dann auch getan.«
»Und seitdem seid ihr befreundet.«
»Ja.«
»Ich würde sagen, diese Geschichte sagt so einiges über euch aus.« Sie sah sich um, als er durch die hübsche Wohngegend von Midtown fuhr. »Ich bin hier ganz in der Nähe aufgewachsen – als kleines Kind zumindest. Wir hatten ein nettes kleines Häuschen beim Columbus Drive.«
»Sind das schöne Erinnerungen oder schlimme?«
»Oh, beides. Aber ich hab die Gegend immer gemocht, die bunt zusammengewürfelte Architektur und die vielen Kinder.«
Er fuhr in die bereits ziemlich zugeparkte Auffahrt eines ansprechenden Hauses, dessen Vorgarten sorgfältig gemäht und von Blumenbeeten umgeben war.
»Ich auch«, sagte er.
Er ging um den Wagen herum und nahm ihre Hand. Sie hörte Kinder rufen und ausgelassen kreischen sowie den Motor eines Rasenmähers. Sie roch Pfingstrosen und Fleisch, das bereits jemand auf den Grill gelegt hatte.
So war sie aufgewachsen, dachte sie. Danach war alles anders geworden, vollkommen anders.
Die Schiebetür öffnete sich mit einem fröhlichen Klacken. Die Frau, die auf die große Veranda hinaustrat, war hochschwanger. Ihre Haut hatte die Farbe von Halbbitterschokolade, und sie hatte gepflegte Dreadlocks.
Ein Junge kam hinter ihr hergerannt, beide Knie voller Schorf. »Dunc, Dunc, Dunc!«, schrie er, während er wie von der Pistole geschossen auf ihn zuraste. »Fang mich!« Und schon sprang er an ihm hoch.
Duncan, der offensichtlich Erfahrung mit diesem Spiel hatte, fing den Jungen noch in der Luft auf und wirbelte ihn herum. »Dieses merkwürdige Wesen hier ist Ellis.«
»Hallo, Ellis.«
»Hallo! Noch mal, Duncan, bitte!«
»Ellis Tyler, würdest du Duncan erst mal ins Haus lassen, bevor du ihn so überfällst?«
Der Junge hing zwar mit dem Kopf nach unten, schaffte es aber trotzdem, die Augen zu verdrehen. »Ja, Ma’am.« Als ihn Duncan wieder absetzte, grinste er.
»Es gibt Kirschkuchen. Komm rein, Duncan, komm rein! Sie natürlich auch, Ma’am.« Mit diesen Worten rannte er zurück zum Haus.
»Mein Sohn gibt gern das Empfangskomitee. Sie müssen Phoebe sein. Ich bin Celia. Ich hoffe, Sie haben ordentlich Appetit mitgebracht.« Sie reckte den Kopf, um Duncans Kuss entgegenzunehmen. »Dich muss ich so was gar nicht erst fragen.«
»Wie viele Kirschkuchen?«, wollte Duncan wissen.
»Immer mit der Ruhe. Duncan ist da!«, rief sie, während sie sie hineinscheuchte.
Phoebe sah, dass jede Menge Leute da waren, in allen Formen und Größen. Babys, Kleinkinder, schlaksige Teenager und ein uralter Mann, der Onkel Walter genannt wurde, Männer und Frauen, die alle einen entsprechenden Lärm veranstalteten. Die meisten saßen hinten im Garten, ruhten sich auf Stühlen oder im Gras aus, spielten Fangen mit den Kindern und schoben sie auf der knallroten Schaukel an. Ein paar Männer standen am Grill und betrachteten ihn mit demselben Entzücken wie das Aufklappposter einer nackten Frau. Wenn sich Phoebe nicht täuschte, waren fünf Generationen anwesend, aber das absolute Zentrum war eindeutig die Frau, die gerade dabei zusah, wie zwei jüngere Familienmitglieder zwei Picknicktische zu einem großen zusammenschoben.
Sie war auf eine tröstliche Art mollig. Phoebe konnte sich vorstellen, wie gern sich jedes Kind auf ihren Schoß flüchten und seinen Kopf an ihre Brust lehnen würde. Ihr hübsches Gesicht mit den tief liegenden Augen, der großen Nase und dem ebenso großen Mund wurde von schwarzen Locken umspielt. Sie wandte sich einem alten Mann zu, der neben ihr saß und gestikulierte. Phoebe brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie nicht nur in der Luft herumfuchtelte, sondern die Gebärdensprache benutzte. Der alte Mann ließ ein heiseres Lachen ertönen und machte ihr ebenfalls Zeichen.
Duncan legte den Arm um Phoebes Schulter, und als sie zu ihm aufsah, um ihn anzulächeln, sah sie, wie er zu der lachenden Frau hinübersah. Auf seinem Gesicht und in seinen tiefblauen Augen stand eine absolute, bedingungslose Liebe.
Plötzlich begriff sie, wenn auch mit leisem Schrecken, dass dies ein wichtiger Moment war
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