Im Licht des Vergessens: Roman (German Edition)
umstimmen.«
»Mom!« Ein Mädchen kam auf sie zugerannt. Über beiden Ohren wippten gelockte Zöpfe. »Hero will einfach nicht mehr vom Baum runterkommen. Bitte mach, dass er wieder runterkommt.«
»Er kommt schon wieder runter, wenn er will. Und jetzt sag Miz MacNamara guten Tag, Livvy.«
»Guten Tag, nett, Sie kennenzulernen.«
»Ebenfalls.«
»Die Katze kommt nicht mehr runter.«
»Die klettern gern auf Bäume«, erklärte Phoebe.
»Warum?«
»Damit sie sich uns überlegen fühlen.«
»Aber Willy hat gesagt, sie fällt gleich runter und bricht sich das Genick.«
»Ach, komm schon, Livvy, das hat er doch nur gesagt, um dich zu ärgern.« Loo zupfte liebevoll an einem von Livs Zöpfen. »Gleich gibt es Hähnchen. Die Katze wird bald wieder unten sein. Und jetzt geh und wasch dir die Hände – wir essen gleich.«
»Bist du sicher, dass es ihm da oben gefällt?«, fragte das Kind Phoebe.
»Absolut.« Sie sah zu, wie Livvy davonrannte. »Wie alt ist sie?«
»Im Juni wird sie sieben.«
»Ich habe auch eine kleine Tochter, die gerade sieben geworden ist.«
»He, ihr!«, hallte Ma Bees Stimme durch den Garten. »Wird das heute noch was mit eurem Hähnchen?«
»Das ist schon unterwegs, Ma«, riefen die Männer und legten es auf eine Servierplatte.
Es gab diverse Salate und unzählige Leckereien. Phoebe verlor vollkommen den Überblick, bei all den Tellern und Schüsseln, die an sie weitergereicht wurden. Im selben Tempo, wie das Essen herumgereicht wurde, neckte man sich und erzählte Witze.
Hier ging es vollkommen anders zu als in ihrer Familie, die sehr überschaubar war und fast nur aus Frauen bestand. Armer Carter, dachte Phoebe, du wirst wohl immer in der Minderzahl bleiben. Auf ihren Gartenfesten hatte es noch nie einen alten Mann gegeben, um den man sich bemühte, bis er in seinem Sessel einschlief. Genauso wenig wie mehrere kleine Jungen, die sich mit funkelnden Augen um einen Maiskolben stritten.
Schon etwas gelöster unterhielt Phoebe sich mit Celia über die Kinder, von denen sie bereits zwei hatte – neben dem, das sie gerade erwartete. Sie lächelte Livvy zu, als der Kater wieder den Baum hinabkletterte, um zum Tisch zu kommen und zu betteln.
Irgendwann diskutierten Duncan und Phin heftig über Basketball, wobei sie wild mit ihren Gabeln fuchtelten und ihre Ausdrucksweise immer mehr zu wünschen übrig ließ. Während sie ihre jeweilige Intelligenz und Mannesehre beleidigten, wurden sie von allen anderen ignoriert.
Das waren nicht nur Freunde, dachte Phoebe, als ihre Beleidigungen fast schon absurd wurden. Sondern Brüder. Und zwar völlig unabhängig von ihrem familiären Hintergrund, ihrer Erziehung und ihrer Hautfarbe. Niemand sonst kann sich so streiten, das tun nur Geschwister – seien es nun leibliche oder welche im Geiste.
Sie befand sich also auf der Grillparty von Duncans Familie. Das war nicht nur ein wichtiger, sondern ein denkwürdiger Moment.
»Sind Sie mit Elizabeth MacNamara verwandt, die in der Jones Street gewohnt hat?«
Phoebe wurde aus ihren Gedanken gerissen und spürte Bees Blick. »Ja. Sie war die Cousine meines Vaters. Kannten Sie sie?«
»Ich habe von ihr gehört.«
Der Ton, in dem sie das sagte, ließ vermuten, dass sie keine besonders hohe Meinung von Bess MacNamara hatte, und Phoebes Schultern begannen sich zu verspannen. Es gab genügend Leute in Savannah, die sämtliche Mitglieder einer Familie über einen Kamm scherten.
»Ich habe lange für Miz Tidebar in der Jones Street geputzt«, fuhr Bee fort, »bis sie schließlich starb. Das ist bestimmt gut zwölf Jahre her.«
»Ich kannte Mrs. Tidebar nur dem Namen nach.«
»Es hätte mich auch gewundert, wenn es anders gewesen wäre. Sie und Miz MacNamara sprachen nämlich nicht mehr miteinander.« Der Satz klang mehr als vorwurfsvoll.
»Ja, ich erinnere mich da an eine Art Familienstreit.«
Die Fehde lag schon weiter zurück als ihr Einzug ins Haus der MacNamaras. Da er sich mit den Jahren immer mehr verschärft hatte, durfte niemand, der unter Bess’ Dach lebte, auch nur ein Wort mit den Tidebars sprechen, geschweige denn Umgang mit ihnen pflegen.
»Und Miz Tiffany? Sie hatte bereits zwei Putzfrauen, aber ich half manchmal aus, wenn sie eine Party gab oder zusätzliche Hilfe brauchte. Lebt sie noch?«
»O ja.« Phoebe entspannte sich wieder. Die exzentrische Nachbarin war ein wesentlich unverfänglicheres Gesprächsthema. »Sie ist so schrill wie eh und je.«
»Als ich für sie gearbeitet
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