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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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dachte an Della – ihre Stimme in der Dunkelheit. Ich möchte nicht, dass du mich siehst. Aber warum nicht?, dachte er. Hatte sie sich so schlimm verletzt? War sie so ungepflegt? Sie wusste doch bestimmt, dass ihm das egal war. Aber war es das wirklich? Wenn er ihr Gesicht durch eine Verletzung entstellt oder den Schmutz auf ihrer Haut gesehen hätte, wäre er dann noch imstande gewesen, sie zurückzulassen? Er empfand auf einmal Verachtung für den Amtsrichter, für seine Sorte Freundlichkeit. Musste er sie in diese gottverlassene Zelle sperren? Einzelhaft. Jede andere Strafe schien besser als diese. Und der Amtsrichter sprach von Menschlichkeit.
    Talmadge blickte zu den Hügeln.
    Sie würde dem Amtsrichter nichts von Michaelson erzählen, dachte er jetzt. Aber er hatte das Gefühl, dass ihm unter den gegebenen Umständen nichts anderes übrig geblieben war, als ihr zu glauben. Für jemanden da zu sein hieß, ihm zu vertrauen. Sie würde dem Amtsrichter nicht die Wahrheit sagen. Aber Talmadge musste die Entscheidung ihr überlassen.
    Er schaute weiter aus dem Fenster. Er würde bis zum Ende der Woche abwarten, beschloss er, und sie dann wieder besuchen. Er hoffte, sein Körper würde sich bis dahin erholen. Länger könnte er nicht warten. Er würde hinfahren und dem Amtsrichter die Wahrheit sagen. Sicher würde der Mann dann zustimmen, dass einer von beiden – Della oder Michaelson – verlegt werden müsste. Talmadge würde sich vom Richter beraten lassen. Wenn die Behörden keine Leiche in der Gegend von Seattle gefunden hatten, wenn niemand Strafanzeige gegen sie erstattet hatte und es keinen Haftbefehl gab, würde er sie vielleicht gehen lassen – sie seiner, Talmadges, Obhut übergeben. Und Talmadge würde sie mit nach Hause nehmen, auf die Plantage.
    Doch das Mädchen, Della, musste sich bis dahin möglichst ruhig verhalten, dachte er. Sie durfte sich nicht weiter in Schwierigkeiten bringen, musste darauf vertrauen, dass er die Bedingungen ihrer Freilassung für sie aushandeln würde.
    Draußen jagte Licht durch eine Reihe von Birken, die die Grenze eines weiten Feldes markierten. Lichtmosaike zwischen den Zweigen und Blättern, ein Exodus von Licht, in unendlicher Wiederholung. Aber es war nicht das Licht, das sich bewegte, dachte er, sondern er selbst, der Zug.
    Eine Woche war zu lang, dachte er.
     
    Was ist passiert?, fragte Frederick.
    Er und Della standen im Hof, nahe dem Eingang zum Zellentrakt. Frederick stand im Schatten des überhängenden Dachs, Della in der Sonne, blinzelnd. Ohne Hut.
    Ich weiß es nicht, sagte sie. Dann: Sie verstehen das nicht. Wenn er irgendwas zu mir sagt, werde ich so wütend …
    Hm, sagte Frederick nach einer Weile. Es ist schade, dass so was passieren musste.
    Es musste ja nicht passieren, sagte sie. Es war meine Schuld. Ich hatte vergessen, wie er ist. Aber … es kommt nicht noch mal vor. Ich weiß jetzt wieder, wie er ist. Ich bin vorbereitet.
    Frederick taxierte sie.
    Helfen Sie mir noch mal?
    Frederick sagte nichts. Nach einer Weile beugte er sich vor und spuckte aus.
    Ich hab gehört, was er gemacht hat, sagte Frederick. Was für einen Laden er da oben in den Wäldern hatte. Er blickte kurz zu Della, unsicher, ob er sie dazu befragen sollte, und ließ es dann bleiben.
    Sie hatte sich umgedreht und schaute geradeaus über den Hof, die Daumen in den Gürtelschlaufen; eine steife, unnatürliche Pose.
    Vielleicht helfe ich Ihnen, vielleicht auch nicht, sagte Frederick. Ich weiß nicht, was Sie vorhaben. Er schüttelte den Kopf. Bei so was wie neulich Nacht mache ich nicht mit. Immerhin wären Sie fast dabei draufgegangen. Und ich hätte fast meinen Job verloren.
    Della schwieg. Sie starrte weiter auf den Hof, auf den Staub, der von der Hitze gebacken wurde.
     
    Ich weiß nicht, ob es viel ausmacht, Talmadge, sagte der Richter. Ich sehe nicht …
    Doch Talmadge verstand nicht, wieso der Richter es nicht so sah wie er. Für Talmadge war es glasklar: Della durfte nicht dort eingesperrt sein, wo auch Michaelson saß.
    Es ist nicht nur ihretwegen …, begann er.
    Er kann ihr doch nichts tun, oder?, sagte der Richter. Sie treffen nicht aufeinander, richtig? Außerdem war
sie
es, die
ihn
angegriffen hat …
    Talmadge wusste nicht, was er sagen sollte: Der Richter hatte ja recht. Wie sollte er ausdrücken, was ihm auf den Lippen gelegen hatte, als der Richter ihn unterbrach – seinen Verdacht nämlich, dass Della etwas im Schilde führte, womöglich bereits die

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