Im Licht von Apfelbäumen | Roman
Nein, du darfst nicht mit den Männern reiten, und all die Gründe, warum er es ihr erlauben sollte, beiseiteschieben müssen. Er hatte in den vergangenen Monaten gelernt, in welchem Ausmaß er für sie verantwortlich gewesen war und versagt hatte. Wo hatte das angefangen? Gewiss nicht damit, dass er nicht gegen Michaelson aufbegehrt hatte – oder nicht so, wie sie es vielleicht von ihm erwartet und sich gewünscht hatte. So einfach war es nicht. Der Beginn seines Versagens war unklar. Er war nicht einmal sicher, ob er es hätte verhindern können. Und das war im Grunde am schwersten zu akzeptieren. Seine einzige Entschuldigung war die, dass er nicht hatte absehen können, wie weit das alles gehen würde. Er konnte doch nicht ahnen, dass Jane sich vor Angst umbringen würde. Vermutlich hatte Della es ihm immer übel genommen, dass er dem anderen Mann nicht die Stirn geboten hatte – sie hielt ihn, Talmadge, bestimmt für schwach –, doch das war nur die Oberfläche. Ihre Wut auf ihn saß tief, hatte letzten Endes jedoch nichts mit ihm zu tun. Sie war die Maske eines Gefühls, das sein wahres Gesicht nicht zeigen wollte. Della kämpfte gegen die gleiche Macht an wie er. Schicksal, Unausweichlichkeit, Glück oder Unglück. Gott. Er würde jetzt alles gegen diese Macht aufbieten, für sie. Wenn es möglich war, sie davon zu befreien, würde er es tun. Er würde alles wiedergutmachen.
Della drehte sich halb zum Gitter und blinzelte in die durch ihr kleines Fenster scheinende Sonne. Da war etwas, an das sie sich beinahe erinnert hätte oder sich erinnern wollte; sie wollte es nicht vergessen, und als es ihr eingefallen war, schien es ihr unmöglich, dass sie es je wieder vergessen könnte, doch nun war es wieder weg. Sie stand da und schaute auf die sonnenbedeckte Wand. Ihr Gedächtnis arbeitete auf Hochtouren, aber was immer es war, sie bekam es nicht zu fassen.
Kurz zuvor war sie vom Bett aufgestanden, wo sie gelegen und zum Fenster geschaut hatte, weil jemand weiter unten im Gang ihre Aufmerksamkeit zu erregen versuchte. Jemand hatte nach ihr gerufen, nicht ihren Namen, aber etwas ganz Ähnliches. Zuerst kam dieser Ruf, darauf ein Husten und Stöhnen. Dann Stille. Sie war aufgestanden und zum Gitter gegangen, hatte versucht, den Gang hinunterzuschauen. Doch es blieb still, und niemand war da. Einen Moment hatte sie gedacht, es sei Michaelson, der etwas von ihr wollte. Der ihr eine Nachricht übermitteln, sie überreden wollte, ihn nicht zu töten.
Sie hatte gewartet und sich zur Wand gedreht. Hatte das Sonnenlicht gesehen. Da war doch etwas, worüber sie nachgedacht hatte, vorher, auf dem Bett. Sie legte sich wieder hin. Aber sie konnte sich nicht erinnern. Es fiel ihr einfach nicht ein.
Als sie das Wasser im Kessel kochen hörte, kam Angelene aus dem Schlafzimmer. Allein in der Hütte – auf der Plantage –, nahm sie das Handtuch, hob den Kessel an und goss Wasser in den Becher mit Kaffeepulver, stellte den Kessel wieder auf den Herd. Wischte sich die Hände an der Schürze ab und ging ins Schlafzimmer zurück. Wo ein weißes Kleid auf dem Bett lag.
Mitten am Vormittag des zweiten Tages kamen sie in einen Regensturm, und Talmadge und Clee suchten Schutz in einem kleinen Immergrünwäldchen. Es schien, als würde es ewig weiterregnen. Clee schaffte es, sich eine Zigarette anzuzünden, und saß rauchend da; anscheinend richtete er sich auf eine lange Wartezeit ein. Talmadge döste, ohne es zu wollen, ein. Wachte auf, als Clee sich regte. Der Regen hatte aufgehört. Sie trieben die Pferde aus dem Wäldchen. Wasser von den Ästen strömte ihnen auf Hüte und Schultern. Clee knurrte. Nicht weit von ihnen waren Eisenbahngleise, und sie ritten darauf zu. Als sie sie überquerten, kam die Sonne heraus.
Della zog die mit Schnur umwickelte Schachtel – hatte sie sie für diesen Moment aufbewahrt? – aus dem Schlitz in ihrer Matratze, wo sie sie zusammen mit dem Obst versteckt hatte – die Aprikosen, die sie nicht gegessen hatte, begannen zu faulen –, und machte sie auf. Nahm den Deckel ab.
Das Innere der Schachtel war mit einem viereckigen Stück Baumwolle ausgelegt. Als sie es herausnahm, fiel etwas – sie spürte es kaum – herunter. Sie bückte sich und suchte mit den Augen den Boden ab, bis sie es gefunden hatte: einen Apfelkern. Sie hob ihn auf und trat ans Fenster, hielt ihn auf der offenen Handfläche in die Sonne. Musterte ihn eingehend.
Talmadge und Clee brauchten drei Tage,
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