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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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zunächst vielleicht reizvoll, als Spiel, doch die konkreten Auswirkungen aus nächster Nähe zu sehen – den blutigen Leichnam oder das leidende Tier, das seine zerfetzten Glieder über den Waldboden schleppte –, war ihr nicht nur zuwider, sondern entsetzte sie regelrecht. Obwohl sie im entscheidenden Moment oft nirgends zu finden war, half sie nötigenfalls beim Schlachten eines Rehs mit. Doch ein Schatten fiel dann über ihre Augen, sie erledigte die Arbeit mechanisch, und ihre Aufmerksamkeit war von der Aufgabe, die getan werden musste, getrennt.
    Sie hatte diesen Michaelson in der Haftanstalt nur so oberflächlich und unzulänglich verletzt, dachte er, weil ihr der Mut zu direkter körperlicher Gewalt fehlte. Das war die einfachste Antwort – oder eine Antwort – darauf, warum sie ihn nicht töten würde. Sie glaubte vielleicht selbst, dass sie ihn töten wollte; doch letzten Endes wäre sie dazu nicht imstande.
    Clee rührte sich jetzt, nachdem er eine ganze Weile stillgehalten hatte, und beobachtet Talmadge, der seine Suche nach Raupen aufgegeben hatte und nun teilnahmslos zu Boden schaute, den Blick hierhin und dorthin wandern ließ. Was suchte er?
    Wenn es einen anderen Weg gibt, sehe ich ihn nicht, sagte Talmadge wie zu sich selbst.
    Lass sie, wollte Clee erwidern. Lass sie … endlich, endlich … in Frieden. Sie wird ihn töten, oder sie wird ihn nicht töten. Wenn sie es nicht tut, wird stattdessen etwas anderes geschehen. Es ist nicht an uns, das zu entscheiden.
    Ich muss es tun, sagte Talmadge und starrte wie ein besiegter Mann auf die Erde.

    Sie sind da oben, sagte Angelene, ich weiß nicht genau wo, aber während wir anderen arbeiten, gehen sie rauf in den Canyon und kommen erst wieder, wenn die Sonne untergegangen ist. Ich weiß nicht, was sie da oben machen oder was sie essen. Sie nehmen nichts mit, sagte sie verstört.
    Caroline Middey war am Nachmittag mit dem Wagen eingetroffen, und Angelene war wie an der Schnur gezogen zu ihr hingegangen, hatte die ältere Frau umarmt und ohne Scham den Kopf an ihre Brust gelegt, wie ein Kind. Was ist los?, fragte Caroline Middey. Was ist passiert? Und Angelene vergoss ein paar Tränen – die nach der ersten Flut rasch wieder versiegten und ihr peinlich waren – und führte Caroline Middey zur Hütte, wo sie ihr die Stiefel auszog und Tee kochte. Sie setzten sich in der eben eingebrochenen Dunkelheit auf die Birkenholzsessel, und Angelene erzählte ihr, was los war: dass Talmadge und Clee im Canyon ewige Beratungen abhielten und den anderen die Arbeit überließen. Und dass er in letzter Zeit kaum noch mit ihr spreche.
    Es ist, als wäre er krank, sagte Angelene. Als könnte er nicht anders.
    Caroline Middey nickte. Einige Minuten lang schwieg sie, in Gedanken versunken. Schließlich sagte sie: Er hat sich in den Kopf gesetzt, der Retter dieses Mädchens sein zu müssen, und das lässt ihn nicht los. Er wird daran zugrunde gehen …
    Sag das nicht, unterbrach Angelene sie und stand auf.
    Entschuldige, Kind, sagte Caroline Middey. Aber ich habe dergleichen schon erlebt.
    Dann verstummte sie, denn ihr war gerade eine Ausnahme in den Sinn gekommen: Talmadges fiebriges Weiterleben nach dem Verschwinden seiner Schwester; wie er das Essen verweigert, den Wald durchkämmt, verschiedene Gegenstände – Steine, Stöcke, Blumen – eingesteckt hatte, weil sie, wie er behauptete, eine Art Zeichen bargen. Eine Art Karte, die ihm den Weg weisen würde.
    Ich spreche mit ihm, sagte Caroline Middey. Wir klären das miteinander.
    Angelene schwieg. Wollte nicht sagen, was sie dachte: dass sie – Angelene und Caroline Middey – Talmadge nicht mehr so wichtig waren; sie waren unwesentlich für ihn geworden. Della war die Einzige, die ihm jetzt etwas bedeutete.

    Und dann tauchte in der Dunkelheit vor dem Gitter Frederick auf. Della spürte ihn mehr, als dass sie ihn sah, und erhob sich vom Bett. Als sie sich dem Gitter näherte, registrierte sie erstaunt, dass er dastand wie jemand, der schon lange wartete. Was hatte er dort gemacht? Ihr beim Schlafen zugesehen? Er sah sie fast so an, als sei er ihr böse – als hätte sie etwas getan, um ihn vorsätzlich zu hintergehen, und er wolle ihr jetzt die Meinung sagen. Da war so ein grimmiger Zug um seinen Mund.
    Was, sagte sie. Dann: Wie lange stehen Sie schon da?
    Er beäugte sie noch immer. In der Dunkelheit, die mit jeder Sekunde zuzunehmen schien, war er nur schwer auszumachen. Wie viel Uhr mochte es

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