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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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sei. Angelene wiederum könne über Caroline Middey erfahren, wie es Talmadge gehe.
    Das ist ungerecht, sagte Angelene, die ihre Wut – und Traurigkeit und Verzweiflung – kaum beherrschen konnte, als sie dies hörte. Ich möchte ihn sehen …
    Doch am Ende beschloss sie, Talmadges Bitte, deren Genauigkeit Bände darüber sprach, in welchem Geisteszustand er sich befand, Folge zu leisten. Sie zu sehen, würde ihn womöglich so aus dem Gleichgewicht bringen, dass sie es nicht glaubte verantworten zu können; und so blieb sie weg.
    Aber sie schrieb ihm Briefe.
     
    Lieber Talmadge, Caroline Middey und ich haben den Aprikosengarten und den vorderen Apfelgarten hergerichtet, aber der hintere ist dieses Jahr hoffnungslos. Der Boden war gefroren, bevor wir irgendwas tun konnten. Im Frühling wird er sich leicht wieder erholen, da mache ich mir keine Sorgen. … Ich habe dir ein paar Rosinenbrötchen gebacken, die hoffentlich halten. Bitte sag Caroline Middey, was du gern essen möchtest, damit ich weiß, was ich für dich einpacken soll. …
     
    Doch er sagte nie, was er wollte, sondern dankte ihr nur über Caroline Middey.
    Einmal berichtete Caroline Middey, Talmadge habe wissen wollen, ob Angelene Della besucht habe. Angelene warf ihr einen raschen Blick zu. Die ältere Frau war damit beschäftigt, die Ferse einer Socke zu stopfen, und sah nicht auf. Was soll ich ihm sagen?, fragte sie, und Angelene entnahm ihrem Ton, dass sie bereit war, für sie zu lügen.
    Sag ihm gar nichts, antwortete Angelene leise. Er kann mich selber fragen.
     
    Aus vierzehn Monaten wurden neun. Er wurde wegen guter Führung vorzeitig entlassen.
    Angelene und Caroline Middey holten ihn am Bahnhof in Wenatchee ab, damit er auf der Fahrt gen Norden die Landschaft, die sommerlichen Plantagen sehen konnte.
    Caroline Middey fuhr. Talmadge saß neben ihr, und Angelene kniete hinter ihm auf der Ladefläche, die Arme um seinen Hals geschlungen. Er hielt ihre Hände in seinen. Ab und zu hob er sie an seine Wange oder seine Lippen und küsste sie.
     
    Talmadge war zufrieden mit der Plantage, mit all der Arbeit, die dort in seiner Abwesenheit getan worden war.
    Kommen die Männer noch?, fragte er, und sie nickte. Obwohl sie inzwischen seltener kamen. Es war nicht ratsam, sich auf sie zu verlassen; also tat sie es nicht mehr.
    Während des ersten Monats wurde ihm klar, wie viel Arbeit sie tatsächlich geleistet hatte.
    Caroline Middey hat auch geholfen, sagte sie.
    Einmal packte er sie so heftig am Handgelenk, dass sie erschrak – es war spielerisch gemeint, aber sie spürte auch einen Hauch von Ärger dabei –, und fragte sie, wann sie das letzte Mal zur Schule gegangen sei.
    Sie antwortete nicht. Stattdessen stiegen ihr unerklärlicherweise die Tränen in die Augen. Warum sollte sie sich schämen?
    Ich konnte nicht hingehen, sagte sie. Ich hatte hier so viel zu tun …
    Da ließ er sie los und nahm sie, als sie zu ihm kam, in die Arme. Sie weinte an seiner Schulter.
    Entschuldige, sagte er. Ich wollte dich nicht verletzen. Entschuldige.

    Wenn er in den ersten zwei Monaten auf der Plantage nachts aufwachte, wusste er nicht, wo er war. Lag er auf dem durchhängenden Feldbett im Gefängnis? Er wartete darauf, dass ihm der Gestank von Pisse und abgestandenem Wasser in die Nase steigen würde. Einen Moment lang bildete er es sich ein, und seine Seele schreckte zurück. Doch dann hörte er ein Geräusch im Nebenzimmer – das Ticken des Ofens, Wind, der am Fensterrahmen rüttelte, das Mädchen, das sich räusperte –, und die Dunkelheit wurde ihm vertraut. Dies war keine Dunkelheit, die er fürchten musste, sondern sein Zuhause.
    Erst dann entspannte er sich und konnte weiterschlafen.
    Am Anfang war da diese nächtliche Orientierungslosigkeit. Und dann – er wusste nicht warum – verschwand sie.
    Danach konnte er sich an fast nichts aus seiner Gefängniszeit mehr erinnern. Worüber er nachgedacht, womit er die Stunden zugebracht, was er gegessen, mit wem er gesprochen hatte. Wenn er ans Gefängnis dachte, stellte er sich Dellas Zelle vor und wie sie sich ihm von der anderen Seite der Gitterstäbe näherte. Ich war selbst im Gefängnis, musste er sich dann sagen. Doch eine seltsame Art der Gnade deckte wie eine kühle Hand sein Erinnerungsvermögen zu. Er wusste nicht, ob er dafür dankbar sein sollte oder nicht.

    Zunächst schien es, als wüssten die Leute in der Stadt nicht, was sie über Talmadge und Angelene denken sollten. Als die

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