Im Licht von Apfelbäumen | Roman
dass er sich daran erinnerte. Es war nicht seine Schuld; er hatte nicht das Gefühl, dass es seine Schuld war. Sie saß neben ihm und sprach mit ihm, und es war noch nicht einmal mehr notwendig, dass er verstand, was sie sagte. Sie berührte ihn am Kopf und wischte ihm die Stirn mit einem feuchten Lappen ab, und das war angenehm. Vielleicht sagte er auch etwas, doch was er sagte, war gleichgültig. Sie kam und ging; er nannte sie bei verschiedenen Namen.
Angelene, sagte er. Ich war hier, als du geboren wurdest.
Ich weiß, sagte sie.
Im hinteren Apfelgarten kletterte Angelene geschickt auf jeden Baum und pflückte in der beginnenden Dunkelheit die Äpfel – sie leuchteten, die Rhode Island Greenings leuchteten; mit den Pippins war es schwieriger, sie musste die Stiele mit den Fingerspitzen ertasten. Sie war immer eine langsame Pflückerin gewesen, was sich auch mit den Gegebenheiten nicht geändert hatte – damit, dass sie jetzt all die Bäume allein abernten musste –, und so ruhte sie sich nach ihrem Tagwerk nur kurz aus, um zu essen und ein Schläfchen zu halten, und arbeitete dann weiter, bis es zu dunkel dafür wurde. Wenn der Mond sich nicht zeigte, war alles noch mühsamer, und sie ging früher in die Hütte zurück, schlief schlecht und träumte vom Pflücken und davon, körperlosen Stimmen durch die Baumreihen zu folgen. Am Morgen stand sie dann mit geröteten Augen auf, griff sich ihren Leinensack und ging in die Kälte hinaus. Sie würde ihre Anstrengungen verdoppeln müssen, denn wie üblich hatte sie am Tag zuvor nicht die vorgesehene Menge Obst gepflückt. Trotzdem hetzte sie sich nicht. Talmadge sagte: Hetze dich nicht. Nur ein Dummkopf hetzt sich. (Doch er arbeitete immer hart; das war normal. In ihrer Kindheit war er von morgens bis abends – langsam – durch die Obstgärten gegangen; und manchmal auch noch nach dem Abendessen, bis die Sterne im Himmel sich weiterdrehten.)
Wenn sie tagsüber gut gepflückt hatte, schlief sie tief. Sie machte Essen und sprach mit Talmadge, der mit offenen Augen auf seinem Bett beim Ofen lag. Er wurde immer stummer. Manchmal folgte er ihr mit den Augen, wenn sie in der Hütte umherging, doch meistens nicht. Sie verspürte einen Drang, den sie nicht verstand: Kisten voll mit Äpfeln, die sie gepflückt hatte, um sein Bett herumzustellen und ihn mitten darin liegen zu sehen. Natürlich tat sie das nicht und erzählte ihm nichts davon. Doch das Bild verfolgte sie und ließ sie vor Verlangen die Fäuste ballen.
Was bedeuten Jahreszeiten für einen sterbenden Mann? Talmadge schlug mitten am Vormittag die Augen auf und betrachtete die Luft im Zimmer. Die Luft hatte etwas mit dem Licht und der Qualität des Lichts – blendendes Gold – zu tun, und auch mit dem Leben der Bäume, die Sauerstoff verströmten. Die Luft, die geräuschlos durch die Hütte zog, die seine Lungen aufnahmen, hatte noch etwas vom Innenleben der Bäume an sich – satte Träume von Blattgrün, Sonnenschein und Wasser, Schwerkraft, Wurzeln und ihrer Struktur. Früchten. Dies war Herbstlicht. Irgendwie hatte er immer gewusst, dass es die Jahreszeit war, in der er verschwinden würde. Er wartete auf das Mädchen, das mondgleiche Gesicht, das im Raum über seinem eigenen Gesicht auftauchte und horchte. Auf Atem horchte. Sie stand am Herd, machte Essen. Wenn sie mit ihm sprach, hatte sie immer noch ihre Kinderstimme, die bisher nicht dunkler geworden war. Die Zeit würde das richten. Er empfand leises Bedauern, dass er diese Veränderung nicht mehr miterleben würde, das Absinken auf eine tiefere Stimmlage. Ihre Haare waren im Nacken zusammengefasst, die Farbe sah im Licht wie junge Eiche aus. Sie war wie die Plantage. Wegen ihrer Langsamkeit und der Haltung, die sie zeigte – anscheinend ergeben, still –, hätte man meinen können, schon ein strenges Wort würde sie verletzen. Doch so war es nicht. Sie war wie ein in Stahl gegossenes Ei. Sie war das Abbild des Ortes, der sie beherbergte.
Er spürte eine zwiespältige Sehnsucht in sich heraufsteigen, wenn sie die Hütte verließ und er wusste, dass sie da draußen in den Bäumen war und arbeitete, auf ihre langsame Art, die er ihr nie nehmen mochte, weil sie auf etwas in ihrem Wesen hindeutete, das er nicht stören oder verderben wollte. Ihre Langsamkeit hatte etwas mit der ihr eigenen Bedächtigkeit zu tun, jener tiefgründigen, suchenden Gemütsruhe. Sie würde nie sagen, dass sie liebte, solche Wörter gebrauchten sie nicht;
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