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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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weiter oben am Berg begraben hatten, auf einer Hochebene unweit einiger Birnbäume, die er und seine Schwester nach dem Tod ihrer Mutter gepflanzt und seitdem hatten verwildern lassen. Aus der Ferne sah es so aus, als ragten die Birnbäume – es waren vier – hoch in den Himmel; doch wenn man davorstand, wanden sie sich als dichtes, verholztes Gestrüpp über den Rand einer Klippe. Von hier aus konnte man auf die Weizenfelder hinabschauen, die sich, Meilen weiter unten, bis zum Horizont erstreckten. Jane wurde unter dem einzigen Baum auf der Hochebene beerdigt, der kein Obstbaum war: eine gewaltige, urzeitlich aussehende Pappel, deren kleine silbergrüne Blätter unablässig im Wind blitzten.
    Und der Wind war lebendig an jenem Tag, als sie Jane unter die Erde brachten; er sauste auf der Hochebene hin und her und machte Regengeräusche im Baum und im langen Gras. Talmadge war erleichtert: Denn das Geräusch schützte sie alle voreinander, schützte Della in ihrer Trauer. Ihre Haare wehten ihr über das Gesicht, als sie reglos am Grab stand.
    Jetzt sagte er zu ihr: Was meinst du … wie sollen wir sie nennen?
    Della rührte sich erst nicht, so als hätte sie ihn nicht gehört, doch dann zuckte sie mit den Schultern. Blickte in die andere Ecke des Raumes. Als interessierte es sie gar nicht, worüber sie da sprachen.
    Irgendeinen Namen müssen wir ihr ja geben, sagte Caroline Middey.
    Talmadge wischte sich die Hände an den Hosenbeinen ab und ging zu dem Schrankkoffer, der unter dem Fenster stand. Stützte sich mit einem Knie auf dem Boden ab und wuchtete den Deckel hoch. Wie lange es her war, dass er dort hineingeschaut hatte. Aus dem Koffer stieg ein mostiger Geruch auf.
    Della hatte den Schrankkoffer schon mit Jane durchsucht, doch unwillkürlich beobachtete sie jetzt trotzdem, was Talmadge da machte.
    Nachdem er eine Weile gekramt hatte, fand er die große Bibel und betrachtete sie kurz, bevor er sie herausnahm und sich dem Mädchen gegenüber an den Tisch setzte. Della spähte – erneut unwillkürlich – zu ihm hin. Überdeutlich nahm sie wahr, wie das Dünndruckpapier zwischen seinen Händen wisperte. Er zog einen Zettel heraus, der etwa in der Mitte des Buches zwischen den Seiten steckte. Es gab noch andere Lesezeichen – Briefe, Notizen, Rezepte –, doch dies war das Wichtigste von allen, das Entscheidende. Er entfaltete den Zettel und strich mehrmals mit den Handflächen darüber, um ihn zu glätten. Es war die Zeichnung eines Familienstammbaums, in den mit schwungvoller Schrift die Namen eingetragen waren. Er studierte sie eine Zeit lang und zeigte dann mit dem Finger auf eine Reihe davon.
    Die Schwestern meiner Mutter, sagte er und räusperte sich. Er las sie vor: Angelene, Theodora, Carol-Ann, Beverly, Sandrine, Louisa, Minna und Martha (Zwillinge), Susanna Ray und die Kleinste, Lorene Ada. Talmadges Mutter, Beatrice, war die Zweitjüngste.
    Talmadge schwieg, während er zurückdachte.
    Della regte sich, sagte: Der erste Name, ich mag den ersten, ich finde, so soll sie heißen…
    Überrascht berührte er das Papier. Angelene?
    Ja …
    Und sie schauten alle zu dem Kind auf dem Kissen mit seinem runzligen, leuchtenden Gesicht, der winzigen Hand dicht neben der Schläfe. Stillschweigend kamen sie überein, dass es noch zu früh war, um zu beurteilen, ob der Name zu diesem Geschöpf passte oder umgekehrt. Die Zeit würde es zeigen …
    Talmadge freute sich, auch wenn er es sich nicht anmerken ließ. Seine Freude rührte daher, dass das Kind nach einer guten Frau benannt wurde – alle Schwestern seiner Mutter waren gute Frauen gewesen, davon war er überzeugt, obwohl er diese, Angelene, nie kennengelernt hatte oder sich nicht an sie erinnerte; seine Tanten waren in seiner Vorstellung allesamt Variationen seiner Mutter –, noch mehr aber freute er sich, weil er das Gefühl hatte, das Kind an diesen Ort und an sich zu binden, indem sie es so nannten.
    Della wiederum hatte den Namen ausgesucht, weil er in dem Moment, da sie ihn hörte, irgendeine Erinnerung in ihr wachrief. Sie wusste nicht mehr, wie ihre Mutter geheißen hatte, aber dieser Name – Angelene – klang so ähnlich. Angelene, murmelte Della an diesem Abend, bevor sie einschlief. Angelene. So ähnlich. Nicht genauso, aber ähnlich.
    Jane wäre zufrieden, dachte sie.
     
    Manchmal, wenn sie beim Essen saßen, spürte Talmadge den Blick des Mädchens auf sich und sah zu ihm hin. So betrachteten sie sich eine Weile, bis Della langsam

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