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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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wegschaute. Was hielt sie von ihm?, fragte er sich. Was für ein Mann war er in ihren Augen? Er hatte die Sense gegen Michaelson erhoben, aber das war auch alles. Am Ende hatte er Michaelson in keiner Weise bedroht, sondern ihn mit Geld abgefunden. Er hatte ihn davonkommen lassen. Fand sie, dass er ein Feigling war? Oder clever, weil er begriffen hatte, dass dies die beste Art war, ihn loszuwerden?
    Er hatte keine Ahnung, was in dem Mädchen vorging.
     
    Nachdem Caroline Middey zum ersten Mal seit Janes Tod wieder nach Hause gefahren war, ließ er Della tun, was sie wollte, was hauptsächlich bedeutete, dass sie stundenlang auf der Veranda saß und dann in die Felder ging, um im hüfthohen Gras zu schlafen. Sie trug tagein, tagaus dasselbe Kleid und dieselben Strümpfe, bis er ihr einmal beim Abendessen vorschlug, die Sachen zu wechseln. Du wirst dich wohler fühlen, sagte er verlegen. Er wusch ihre und seine Sachen im Bach, während sie im Aprikosenbaum saß und ihm zusah. Er machte ihr noch andere Vorschläge: dass sie beim Obstpflücken helfen oder im Wald Kräuter sammeln könnte. Manchmal tat sie das, jedenfalls Obst pflücken. Er wusste nicht, dass sie den Wald fürchtete, ein Terrain, durch das Jane sie immer gelotst hatte.
    Sobald das Kind weinte, weil es gefüttert werden musste, kümmerte sie sich einigermaßen zuverlässig darum, doch es kam auch vor, dass es schrie und Della nicht auftauchte. Talmadge hatte Angelene jetzt praktisch immer bei sich, in einem zugedeckten Korb, den er ans Ende der Baumreihen stellte oder, bei Regen, auf die Veranda. Caroline Middey brachte ihm bei einem ihrer Besuche ein langes Stofftuch mit, das man sich nach indianischer Sitte um den Körper wickeln konnte, um das Kind während der Arbeit auf dem Rücken oder am Bauch zu tragen. Lange Zeit begleitete die Kleine Talmadge auf diese Weise, wenn er auf der Plantage herumlief. Er gewöhnte sich an ihr feuchtwarmes Gewicht, ihre eigentümliche Gegenwart an seiner Brust.
    Della schlief trotz der Kälte immer öfter draußen, und so wurde die Apfelkiste, die Angelene als Bettchen diente, aus Dellas in Talmadges Zimmer umgestellt. Nicht in die Nähe des Fensters, wo es zog, sondern zwischen Bett und Schrank unter einen Wandbehang, den seine Schwester gestickt hatte, als er noch ein Junge war.
     
    Das erste Jahr verging, geprägt von Schweigen, Erschöpftheit, schweren Träumen und Verwirrung. Dennoch begann Della sich allmählich in der Landschaft um sie herum auszukennen und bezog unbewusst aus verschiedenen Aspekten und Gegenständen Orientierung und Trost. Da waren die Stellen im hohen Gras des Feldes und im näher gelegenen Pflaumengarten, wo sie je nach Wetter und Tageszeit schlief, eingerollt und träumend. Bestimmte Pfade zwischen den Bäumen waren ihr lieber als andere, wegen irgendeiner Eigentümlichkeit ihres Verlaufs oder sonstiger zufälliger Umstände – weil das Gras im Schatten lag oder im Licht; weil es dort etwas wärmer, kälter, heller war, weil es besonders erdig roch oder feucht oder nach Honig –, und es gab Pfade, die sie nur betrat, um an ihr Ziel zu gelangen. Jedes Mal, wenn sie zwischen den Bäumen hindurchlief, war ihr, als ob sie auf einer anderen Ebene einen Traum erlebte, der genauso einzigartig war wie der jeweilige Pfad; und auf jedem Pfad erlebte sie immer wieder denselben Traum. Die Träume waren nicht deutlich, nicht richtig greifbar. Manche Pfade gehörten zu denen, die Talmadge oft benutzte, andere nicht. Sie brauchten jemanden, der dort entlangging, ganz gleich wie selten; jemanden, der sie sah. Darin trat bei ihr ein gewisser Aberglaube in Erscheinung – wenn sie dort nicht entlangging, wenn niemand die Pfade sah,
würde etwas passieren
 –, doch auf die Frage, warum sie das tue, leugnete sie, irgendein besonderes, die Pfade betreffendes Empfinden zu haben; nur ein unbestimmtes Gefühl ziehe sie in diese oder jene Richtung.
    Doch es gab anderen, konkreteren Trost, den sie in sich aufnahm. Die Farbe des Grases, fast blau, in der Dämmerung. Die schöne Ordnung im Geräteschuppen, wo sie nachts manchmal schlief. Die gleiche Ordnung in der Küche, die ihr auffiel, wenn sie allein dort stand, nachdem sie in den Schränken nach etwas Süßem gesucht hatte. Sie bewunderte den Ordnungssinn dieses Mannes, obwohl sie selbst eher schlampig war. An einer Wand im Schuppen hing verschiedenes Sattel- und Zaumzeug, Zügel, Führstricke, Sporen, Decken, ein Sattel auf einem alten, mit Teppich

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