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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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bezogenen Regal. Sie fühlte sich von diesen Dingen angezogen; nahm gern das Zaumzeug von der Wand, prüfte sein Gewicht auf ihrem Arm.
     
    Der Winter war ruhig. Della kauerte auf ihrem Lager im Geräteschuppen und weigerte sich hereinzukommen. In der Hütte las Talmadge dem Kind aus alten Almanachen vor, wenn er nicht gerade das Feuer im Ofen schürte. An Weihnachten kam Caroline Middey auf einem Schlitten zu ihnen. Sie lachte, als sie abstieg, die Wangen von der Kälte rot gefleckt. Sie rief dem Mädchen, das um die Scheunenecke lugte, zu, sie solle ihr helfen, die Geschenke hineinzutragen. Drinnen saßen sie beisammen und tranken heißen Most. Das Mädchen packte seine Geschenke aus: ein Wollkleid, Winterstrümpfe, ein Paar neue Stiefel. Außerdem eine Dose Mürbegebäck, Erdbeerbonbons und eine Mischung für heiße Schokolade. Die Anziehsachen interessierten sie nicht weiter, doch auf alles Essbare war sie regelrecht versessen. Sie überlegte schon, wo sie es verstecken würde. Sie wollte sofort wissen, wie man die heiße Schokolade zubereitete, und Caroline Middey zeigte es ihr. Das Mädchen, gebannt – beinahe gefräßig – an ihrer Seite, verfolgte jeden Schritt genau.
     
    Schon im März arbeitete Talmadge wieder draußen, räumte den Dreck zwischen den Baumreihen weg, schaute nach Fäulnis und frühem Schädlingsbefall. Mit dem Kind vor der Brust lief er die Pfade des Aprikosengartens ab und sog die Luft – kalt, mit deutlichen Spuren von Tauwetter darin – in seine Lungen. Die Sonne wurde von den Flächen und Inseln aus Schnee auf dem Feld reflektiert, schon um diese Zeit – es war noch früh – gleißend hell. Sein Atem dampfend vor ihm. Della kam aus der Hütte und stand auf der Veranda, einen Rest getrockneter Haferflocken im Mundwinkel. Als Talmadge sie sah, rief er ihr zu, sie solle sich einen Pullover anziehen, es sei zu kalt, um so auf der Veranda herumzustehen. Sie ging wieder hinein und tat erstaunlicherweise, was er ihr gesagt hatte.
    Zu Beginn des Frühlings nahm er den Aprikosengarten unter die Lupe, um einen Zeitplan für das Beschneiden zu entwickeln und festzustellen, welche Bäume einer besonderen Pflege bedurften, ersetzt oder neu hinzugepflanzt werden mussten. Allein für diese Bewertung brauchte er zwei Wochen. Mit seiner feinen, winzigen Handschrift machte er sich Notizen in einem Heft, das er in der Hemdtasche mit sich führte.
    Im April fing die eigentliche Arbeit an. Er stand vor Morgengrauen auf und war, wenn die Sonne aufging, bereits in den Bäumen. Auf der Leiter stehend, drang er mit seiner Astschere bis in die äußersten Winkel der Unterschichten vor. Mal pfeifend, mal vor sich hin murmelnd, meistens jedoch stumm. Er arbeitete immer auf die gleiche, ruhige und bedächtige Weise, die es kaum vorstellbar scheinen ließ, dass er je rechtzeitig mit einer Reihe, geschweige denn dem ganzen Obstgarten fertig werden würde. Wie konnte er sich solche Sorgfalt leisten? Gerade so, wenn auch knapp. Die Struktur, die Ordnung, die er in den Reihen und in jedem einzelnen Baum herstellte, verschaffte ihm mehr Befriedigung als irgendetwas sonst. Es war seine Leidenschaft, sein ganzes Leben.
    Della beobachtete ihn in diesem ersten Frühling skeptisch, ohne recht zu verstehen, was er da tat.
     
    Ende April kamen die Pferde. Della kletterte auf einen Aprikosenbaum am oberen Bachlauf und beobachtete, wie die Männer die Tiere am frühen Morgen bewegten und trainierten, beobachtete Clee und den Cowboy dabei, wie sie bestimmte Pferde – die wilden – von der Herde trennten und zu zähmen versuchten.
    Eines Abends fragte sie Talmadge: Wo kommen sie her?
    Wer?
    Die Pferde.
    Von den Auktionen, sagte er, und da er den Eindruck hatte, dass sie auf etwas anderes hinauswollte, fügte er hinzu: Und von den Bergen.
    Aber sie war nicht zufrieden. Nein, sagte sie, ich meine: wo sie
herkommen.
    Er wusste nicht, wovon sie sprach, war ratlos. Sagte schließlich: Ich weiß es nicht.
     
    Della wachte mitten am Tag im sonnenwarmen Gras der oberen Weide auf und erlebte das Ende eines Traumes. Sie betrachtete die zitternden Grasspitzen über sich, die den geschwemmten, fernen Himmel rahmten. Das Gras raschelte, der Bach murmelte unaufhörlich; in der Nähe ihres Kopfes brauste ein Insektenchor auf und verstummte wieder – und diese Geräusche sowie die Hitze und Helligkeit holten sie in die Welt zurück, gaben ihr ein wenig Orientierung. Einen Moment vorher, in ihrem Traum, war sie in Michaelsons

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