Im Licht von Apfelbäumen | Roman
ihrem eigenen Bild ausgefüllt war. Als Della das merkte, spürte sie einen scharfen Stich in ihrem Herzen. Doch es gab andere Dinge, die ihr wieder einfielen, die sie noch zu fassen bekam: die Art, wie Jane manchmal Luft holte, bevor sie sprach; ihre Stimme, tief und süß, und wenn sie böse war, ein wenig rau; ganze Sätze, die sie gesagt hatte, und dass ihre Arme, ihre Achseln, ihr Hals schwach nach Brot rochen. Sie hatte ein schwarzes Muttermal von der Größe einer Blaubeere auf ihrer linken Schulter, ein Sternbild aus Leberflecken auf der Brust. Sie mochte süßen Tee, Sirup und saure Äpfel.
Je mehr Della sich für die Pferde interessierte, umso verworrener wurden ihre Gefühle für die Kleine, für Angelene. Angelene war das Kind ihrer Schwester, aber Della wusste nicht genau, was das für sie bedeutete. Am Anfang war Angelene ein Egel, der mehrmals am Tag Dellas Körper brauchte, ihre Brust; mit der Zeit wurde das Kind zu einer Aufgabe, die erledigt werden musste, einer schwierigen noch dazu. Was war dieses Wesen überhaupt, das von ihrer Schwester stammte? War es ein Teil von Jane? Ein Teil von Della? Della erinnerte sich an die Tage und Wochen nach Angelenes Geburt, als Jane in eine so tiefe Verstörtheit versunken war, dass Della Mühe hatte, sie daraus hervorzuholen. Was war das? War Jane enttäuscht von dem, was geschehen war? Von ihren neuen Lebensumständen? Das Kind war auf seine Art interessant, erfüllte aber nicht das, was sie von ihm erwartet hatte. Es war nicht ihr stillschweigender Verbündeter, sondern ein fremdartiges Geschöpf. Sie liebte und fürchtete es. Ein- oder zweimal, als es nicht aufhörte, diesen einen, immergleichen Jammerton von sich zu geben, hasste sie es tief in ihrem Herzen. Wie sollen wir es nennen?, fragte Della, als die drei zusammen im Bett lagen, und ließ den Winzling ihren kleinen Finger greifen. Doch Jane blieb eisern: Sie würden dem Kind keinen Namen geben, bevor ihre Gefühle sich nicht geändert hatten – bevor sie es nicht von ganzem Herzen und vorbehaltlos liebte. Die Zeit würde kommen: Sie mussten nur abwarten.
Über all dies nachzudenken – Janes zwiespältige Gefühle gegenüber dem Kind, ihr Tod –, war zu schwierig. Della beeilte sich, das Kind zu wickeln, stillte es, ohne zu überlegen, wann sie das zuletzt getan hatte, ließ sich Zeit, wenn sie es am Nachmittag durch die offene Hüttentür schreien hörte, oder ging gar nicht hin.
Der Mann war ja schließlich auch noch da.
Als die Pferde im Sommer wiederkamen, war Della entschlossen: Sie wollte reiten lernen. Sie selbst, und nicht Talmadge, bat Clee, es ihr beizubringen. Nachdem Clee sich über den Cowboy mit Talmadge beraten hatte, erklärte er sich dazu bereit. Natürlich brauchte das Mädchen Ablenkung.
Ich möchte nicht, dass sie die Wildpferde reitet, sagte Talmadge, als müsste das ausdrücklich festgelegt werden. Bring es ihr auf einem der Zahmen bei, dem Zahmsten, das du hast, ich möchte nicht, dass sie Angst bekommt …
Sie saß vor Clee im Sattel, und sie ritten langsam auf dem Feld herum und dann zwischen den anderen Pferden hindurch.
Hör hin.
Die Sonne lag auf ihren Schultern, auf ihrem Kopf. Der Sattel knarrte, als ihre Körper sich mit dem Gang des Pferdes wiegten. Ein Kern von Übelkeit in ihrem Magen, vor Aufregung und von dem trägen, lustlosen Schwanken des Tieres. Dazu die Geräusche der Herde: das Keuchen, Schnauben, Stampfen, Wiehern. Die Pferde, frisch aus den Bergen, stanken in der Hitze: nach Schweiß und Gras, Staub, Kot. Wenn sie sich in der Sonne bewegten, wellte sich ihr Fell. Manche rollten mit den Augen. Am Rand irgendwo Krähen, die plötzlich in den näheren Baumkronen zankten; der Ruf eines ganz kleinen Vogels, weit entfernt. Während sie lauschte, nahm ein Pferd ihren Hosensaum zwischen die Zähne und zog daran. Clee drückte ihm seinen Stiefel in die Seite und schob es weg, und das Pferd wich zurück, mit einem hohen Wiehern weit hinten in der Kehle. Von ihrer neuen Warte aus spürte Della das Wiehern in ihrem Rückgrat und zwischen den Beinen.
Wir sollten wohl dankbar sein, sagte Caroline Middey, die zu Besuch gekommen war. Sie und Talmadge saßen auf der Veranda und beobachteten, wie das Mädchen unten auf dem Feld ritt. Das Baby schlief, mit offenem Mund, an Caroline Middeys Brust.
Sie brauchte etwas, nicht wahr, sagte Caroline Middey. Doch ihre Stimme klang tonlos, nicht überzeugt.
Talmadge schwieg. Er war hoffnungsvoll gewesen,
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