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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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den Hut aus der Stirn. Beiläufig. Irgendwann beschloss er, dass die Zeit gekommen sei, setzte sich trotz der Besessenheit des Pferdes zurecht, beugte sich vor, hob die Fersen an die Flanken des Pferdes und stieß sie ihm tief ins Fleisch; beugte sich noch tiefer hinunter, schob den Hut weiter zurück, drückte mit höchster Konzentration seine Wange an den Hals des Pferdes. Schloss die Augen. Das Pferd wehrte sich, machte erneut einen Satz und raste dann auf die im Halbkreis stehenden Männer zu; der Halbkreis weitete sich.
    Es dauerte lange. Als Clee fertig war, zitterte das Pferd, von kaum beherrschter Wildheit überschäumend. Sein Fleisch und die umgebende Luft waren aufgeladen mit der Energie zersetzter Nerven, des eigentlich Unbezähmbaren, das wie durch ein Wunder bezähmt worden war. Wenn Clee sich jetzt vorbeugte und seine Wange dicht neben das Ohr des Pferdes drückte und ihm mit gnadenlosen Hacken in die Flanken trat, riss das Tier vor Wut und Lust die Augen auf und ging vor oder zurück, was immer Clee wollte. Clee rührte an die Saite seiner Wildheit, und das Pferd reagierte – hilflos seiner eigenen Natur gegenüber. Hinterher wurde es abgezäumt und durfte sich wieder zu den anderen gesellen. Es trabte in die Herde, bahnte sich mit der Schnauze einen Weg durch sie hindurch. Wenn eins Widerstand leistete, schnappte es nach seinen Ohren.
    Am nächsten Morgen ließ das Pferd sich nicht einfangen, und es waren drei berittene Männer nötig, um es in die Enge zu treiben, einzufangen und zum vorgesehenen Bereich zu zerren. Die Männer, angeführt von dem Cowboy auf der Zuchtstute, sattelten es erneut gewaltsam.
    Von ihrem Platz im Aprikosenbaum aus sah Della zu, und in der stillen Morgenluft, unter dem schweren grauen Himmel, hörte sie das eiserne Gebiss gegen die Pferdezähne klacken. Die Flüche der Männer wechselten mit sanften, fast gesungenen Worten. Clee stand wie zuvor abseits und rieb sich die Hände mit Erde und Spucke. Er stieg auf das Pferd und hielt die Minuten der Raserei aus, das Buckeln und Schlingern, mit dem es ihn vergebens abzuwerfen versuchte. Und dann das Vorbeugen, das Anheben der Fersen, das Zurückschieben des Huts. Das Anschmiegen, der lange, seltsame Tanz. Die erneute Bändigung.

    Della wusste nicht, wie ihr geschah; sie fühlte sich leicht.
    Die intensive Beobachtung der Pferde lenkte sie davon ab, wer ihre Schwester war oder fortfuhr zu sein. Denn Jane existierte noch irgendwo, dachte Della. Immerhin war sie es, ihr gemeinsames Leben, wovon Della in den langen Stunden im sonnenwarmen Gras träumte, selbst wenn sie sich hinterher nicht an alles erinnerte. In der Bewusstlosigkeit blieb Della für Jane erreichbar, blieb sie ihr treu. Dabei glaubte sie nicht, dass Jane wiederkommen würde; eher würde sie ihr in diesem unbewussten Zustand begegnen, sich ihr mitteilen. Und die Pferde erhöhten nun – auf welche Weise auch immer – die Wahrscheinlichkeit der Kommunikation. Della wusste zwar nicht, wie das genau funktionierte, aber der Regung war sie sich sicher: Jane war in den Pferden, oder die Pferde waren in Jane. Und wenn Della die Pferde verstünde oder selbst auf einem säße, könnte sie vielleicht auch die Welt verstehen, in der Jane sich jetzt befand. Es lag beinahe auf der Hand. Wenn sie gut genug wäre, stark genug, würde Jane bei ihr sein, augenblicklich; Della würde sie wieder spüren und das alte Gefühl ihrer tiefen Verbundenheit.
    Ungefähr um diese Zeit – im April, die Aprikosen blühten – begleitete Della Talmadge in die Stadt, um Obst zu verkaufen. Als sie die Hauptstraße hinunterging – er hatte ihr Geld gegeben, damit sie sich im Gemischtwarenladen eine Limonade kaufen konnte –, entdeckte sie ihr Spiegelbild in einer Fensterscheibe und erschrak. Das war doch Jane dort im Fenster, mit längeren Haaren und dichterem Pony über den Augen. Einem Schal, den sie im wirklichen Leben nie getragen hatte. Da war sie, Jane, finster blickend und mit den Armen schlenkernd wie ein Junge. Es war ihr eigenes Spiegelbild, das wusste Della, und dennoch hielt sie es zugleich für Janes. Es war ein Spiel, das Jane trieb. Fortan konnte Della nie mehr ihr Spiegelbild betrachten, ohne zu glauben, dass ihre Schwester sie anschaute und kurz davor war zu lächeln – vor Freude, vor Schmerz.
    Und dann kam der Moment, dieses Spiels wegen früher, als es sonst der Fall gewesen wäre, als Della sich nicht mehr erinnerte, wie Jane aussah, weil die Erinnerung an sie mit

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