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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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nach Waldboden riechende Brise wehte von unten herauf. Sie klammerte sich an den Stamm und weinte. Es schien, als wäre die Luft, die vom Boden aufstieg, warm. Sie hörte, wie unzählige Türen sich öffneten und schlossen, und als sie nicht mehr weinte, merkte sie, dass es die anderen Bäume waren, die im Wind knarrten. Die ersten Sterne leuchteten auf. Sie wusste nicht mehr, was real war. Es war jetzt still, der Wind hatte nachgelassen. Sie befand sich auf einem Baum, aber es war nicht der höchste Baum der Welt; oder es gab Millionen Bäume auf der Welt, und sie war auf diesen geklettert, weil es derjenige war, dessen Krone sie kappen musste; sie würde mit dem Sägeblatt in das Holz eindringen. Sie hatte die Säge schon angesetzt, brauchte nur noch Druck darauf auszuüben. Sie blickte auf ihre Hände, ganz weiße, kindliche, aber auch männliche Hände; und ehe sie sich’s versah, hatte sie angefangen zu arbeiten.

    Talmadge war nicht am großangelegten Handel mit seinem Obst interessiert, obwohl er einsah, dass es in der sich wandelnden, zunehmend industrialisierten Welt notwendig geworden war. Seit seiner frühen Jugend verdiente er seinen Lebensunterhalt damit, das eigene Land zu bewirtschaften, und auch wenn er die Hilfe der durchreisenden Männer in Anspruch nahm, war die Arbeit doch nie so beschwerlich, dass sie seine Gesundheit angriff. Das wäre bald anders – er wurde älter, und die Arbeit, die seine Obstgärten ihm abverlangten, machte ihn müde. Erschöpfte ihn. Er sprach nicht darüber, aber er und das Mädchen merkten es beide. Angelene wurde mit jedem Jahr fähiger, sie arbeitete hart und zugleich diskret, um seine Müdigkeit auszugleichen.
    Er hatte nie Schwierigkeiten gehabt, sein Obst in der Stadt zu verkaufen, sei es vor dem Gemischtwarenladen oder auf dem samstäglichen Markt, doch mit der steigenden Produktion – einer Folge der Bewässerungskanäle – und dem Zuzug von Siedlern, die ebenfalls ihre Waren verkauften, hatte er nun am Abend meist zu viele Früchte übrig und wusste nicht, was er damit machen sollte. Er, Caroline Middey und Angelene bemühten sich, das meiste davon einzukochen und zu trocknen, und den Rest lagerten sie ein. Talmadge kontaktierte bald einen Zwischenhändler, der bereit war, ihm einen Teil der Früchte abzunehmen. Manche Obstgärtner verkauften ihre gesamte Ware an Zwischenhändler, doch Talmadge wollte das nicht, solange es nicht unbedingt nötig war. Er saß gern neben seinem Wagen auf dem Markt, grüßte die Leute, verkaufte ihnen Obst und ließ den Tag verstreichen.
    Aus seinem Geschäft mit dem Zwischenhändler sprang mehr heraus, als er erwartet hatte. Er war erstaunt. Er selbst hatte nie viel für sein Obst verlangt, und dass jemand Drittes einen höheren Preis dafür festlegte, empörte ihn. Es schien ihm irgendwie unehrlich.
    Das ist der Lauf der Welt, Talmadge, sagte Caroline Middey. Die Richtung, die sie nimmt. Du brauchst kein schlechtes Gewissen zu haben, fuhr sie fort, als sie sah, dass ihm auch bei diesem Gedanken nicht wohl war. Du hast das Geld redlich verdient, dein Obst ist weit und breit das beste. Ich wette sogar, du könntest noch mehr dafür bekommen, wenn du wolltest!
    Dann: Es ist nicht ehrenrührig, nach all diesen Jahren harter Arbeit zu ernten, was dir rechtmäßig zusteht …
    Doch Talmadge, den solche Gespräche unruhig machten, ja, letztlich bedrückten, wollte nicht weiter darüber reden.

    Eines Abends in der Kantine sah Della eine Gruppe von Männern Karten spielen. Sie hielt sich im Hintergrund, und als einer der Männer sie bemerkte, sagte er nichts zu den anderen. Doch am nächsten Tag, beim Fällen, packte derselbe Mann sie am Arm – als sie ihn hasserfüllt anstarrte, ließ er sie wieder los – und sagte, ohne sie anzusehen, sie solle sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern und sie beim Spielen in Ruhe lassen. Ich hab doch gar nichts getan, sagte sie, und er erwiderte: Ein Spitzel genügt, und das letzte bisschen Spaß, das wir hier draußen haben, ist uns auch noch verdorben. Da erst wurde ihr klar, dass er Angst hatte, sie würde die Männer verraten. Glücksspiele waren im Lager verboten, eine Regel, die sie eher der Frau des Besitzers, einer frommen Baptistin, zu verdanken hatten als der Moral des Kantinenbesitzers selbst, der über vieles hinwegzusehen bereit war, solange es dem Geschäft nicht schadete. Della tauchte am nächsten Abend erneut auf, und als der Mann sie sah, warf er seine Karten hin. Die

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