Im Licht von Apfelbäumen | Roman
Middey sich wieder bückte, zog Angelene die Schultern nach hinten und hob das Kinn. Gab sich einen herausfordernden – wie sie glaubte, fraulichen – Ausdruck. Und sah (war sich aber nicht ganz sicher) die Andeutung von Brüsten unter dem Stoff.
Bald waren die Pfirsiche abgeerntet, und Maggie P. wollte weiter gen Süden ziehen und Beeren pflücken. Ob Della nicht Lust habe, sie zu begleiten? Man verdiene gutes Geld und sie würde ihr zeigen, was zu tun sei, niemand könne das besser als sie …
Doch Della wollte an die Küste, zur Konservenfabrik, wie geplant. Maggie P. verzog keine Miene, als sie das hörte, obwohl sie ihren Ohren nicht traute. Wie konnte man es vorziehen, in einer Konservenfabrik zu arbeiten, anstatt Beeren in Nordkalifornien zu pflücken?
Und für welche wirst du arbeiten? Welche Fabrik?
Della sagte, das wisse sie noch nicht, sie würde sich eine suchen, wenn sie dort sei. Sie fragte nicht, warum Maggie P. sich danach erkundigte, aber Maggie P. sagte: Ich schreibe dir.
Wer Maggie P. und ihre immense Freundlichkeit kennenlernte, dachte zumeist, sie sei gegen Kränkungen immun. Doch das war sie nicht. Sie wünschte, die Menschen würden das begreifen. Es war wirklich nicht sehr schön, wie sie sie behandelten.
Die erste Eisenbahnlinie, Great Northern, kam 1893 nach Washington, sieben Jahre vor Angelenes Geburt. Tausende Männer hatten Tunnel in die Berghänge gegraben, durch die die Züge fahren konnten, um Menschen und Produkte von Ost nach West zu befördern. In Cashmere feierte man, als die Trasse gelegt war, ein Fest. Der Bahnhof wurde kurz darauf erbaut, und der erste Passagierzug fuhr kostenlos nach Seattle.
Der Eisenbahnverkehr gab der Stadt eine Aura von Macht und Fortschrittlichkeit, zumindest eine Weile lang. Alle, selbst diejenigen, die gar nicht genug Geld dafür hatten, konnten nun wenigstens von einer Fahrt nach Seattle träumen. Den anderen stand es frei, einfach in den Zug zu steigen –
Vorsicht, Stufe, meine Dame, ich helfe Ihnen
– und hinzufahren, wo sie wollten. Und das taten die meisten auch früher oder später. Aber irgendwann, wie bei allen wunderbaren Dingen oder doch sehr vielen, ließ der Reiz des Neuen nach, und der Zug – ihn zu hören, ihn zu sehen – wurde zur Normalität.
Die Eisenbahn war auch für die Obstwirtschaft ein Segen. Obstgärtner und Farmer konnten ihre Früchte nun an Zwischenhändler verkaufen, die ihre Ware mit mehr Gewinn im Ausland vertrieben. Dies war auch die Zeit, als manche Obstgärtner über den Großhandel nachzudenken begannen und, um solche Pläne verwirklichen zu können, über Bewässerung. Wasser aus dem Peshastin-Graben, mit dessen Bau 1889 angefangen worden war, erreichte die Plantagenhänge oberhalb Cashmeres im Jahr 1901 . 1902 eröffnete eine Kistenfabrik in Brender Canyon. Drei Jahre später verschiffte die neu bebaute Stadt Cashmere – der Ort hatte vorher Old Mission geheißen, nach den katholischen Missionaren, die sich dort als Erste niedergelassen hatten, um den Ureinwohnern zu predigen – einhundertfünfunddreißig Wagenladungen Obst flussabwärts nach Wenatchee.
Der Beginn des Jahrhunderts war eine Zeit von Geschäftigkeit und Stolz. »Wenatchee, Washington«, stand auf den Kistenaufklebern. »Apfelhauptstadt der Welt.«
Als Della in ein Holzfällerlager kam und nach Arbeit fragte, wurde ihr gesagt, sie stellten keine Frauen ein. Doch Della blieb stur – trieb sich auf dem Gelände herum, beobachtete die Männer, die Erledigung kleiner Aufgaben, mit denen sie sich nach Feierabend beschäftigten, und ließ sich nicht abschütteln –, und der Boss sagte, wenn sie wolle, wenn sie absolut darauf bestehe zu bleiben, könne sie in der Kantine arbeiten und beim Kochen helfen. Das lehnte sie ab, fuhr stattdessen fort, die Männer bei der Arbeit zu belauern. Sie prägte sich Fertigkeiten ein, mit denen sie nicht vertraut war – wie man Klingen schliff oder Seile und Flaschenzüge einfettete –, und begann, sich außerdem ganz selbstverständlich, und weil sie es konnte, um die Pferde zu kümmern.
Und dann wagte sie sich eines Tages weiter den Berg hinauf als je zuvor, bis zu dem Gelände, wo die Männer fällten. Sie hatten sie schon mehrfach abgewiesen – es war eine Sache, wenn die junge Frau im Basislager herumlungerte, wo sie Werkzeug reparierten, sich unterhielten und aßen, aber den Ort zu betreten, an dem die eigentliche Arbeit stattfand, war streng verboten –, an diesem Tag jedoch
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