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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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warfen ihr die Männer, die sie sahen, nur verzagte Blicke zu oder runzelten die Stirn, ohne sie wegzuschicken. Alle Aufmerksamkeit war auf einen Streit gerichtet, der sich zwischen einigen von ihnen entsponnen hatte. Ein Baumkronenkapper hatte sich an der Schulter verletzt und weigerte sich nun, von seinen Freunden gedrängt, auf den ausgewählten Baum zu steigen. Anscheinend war er wider Willen zu dieser Entscheidung gelangt – er hatte zuerst Anstalten gemacht, hinaufzuklettern, es aber noch nicht einmal geschafft, das Geschirr anzulegen, geschweige denn eine Säge zu schultern –, und nun stritten sich seine Freunde mit den anderen, die meinten, er solle trotz seiner körperlichen Verfassung hochklettern. Ähnliches sei anderen auch schon passiert, die dann trotzdem noch die Kraft aufgebracht hätten, wenigstens das Tagwerk zu Ende zu führen; am nächsten oder übernächsten Tag könnten sie dann einen Ersatz für ihn finden. Einen anderen Baumkronenkapper, so spät in der Saison, so weit landeinwärts?, rief jemand. Letztlich wurde entschieden, den Mann nicht hinaufsteigen zu lassen, was bedeutete, dass es ein anderer tun musste. Aber keiner von ihnen hatte je Kronen beschnitten, und niemand wollte zum Lager zurückgehen und dem Boss mitteilen, sie könnten die Arbeit nicht beenden, weil ihnen der Mann dazu fehle – und so beäugten sie einander, zuerst verstohlen, dann ganz offen, und sprachen sich gegenseitig Mut und Charakter ab.
    In eine lange Streitpause hinein sagte Della – mit einer klaren, kindlichen Stimme, die sie aus ihrem Mund nicht für möglich gehalten hätten –, dass sie es machen würde, und manche blickten zu ihr hinüber, ganz erstaunt, denn sie hatten sie bis dahin nicht bemerkt; andere sahen sie nur kurz an und ignorierten sie dann demonstrativ. Doch sie blieb hartnäckig, und als der Streit erneut entflammte, schlich sie sich an den Mann heran, der das Geschirr in der Hand hielt – es war der Freund des Baumkronenkappers, er diskutierte gerade mit jemandem –, nahm es und streifte es sich über. He!, sagte der Mann und griff danach, doch da zurrte sie schon die letzten Schnallen fest. Sie hatte eine entschlossene, ernste Miene aufgesetzt, und ein paar Männer taxierten sie. Ich mach das, sagte sie. Ich hab gesagt, ich mach das! Die ist verrückt, murmelte einer. Ja, verdammt, stimmte ein anderer zu. Stille kehrte ein, als alle zu ihr hinsahen und abwarteten, was sie als Nächstes tun würde. Welcher Baum ist es?, fragte sie. Ich weiß, wie das geht, ich hab’s schon mal gemacht. Scheiße, sagte einer. Stimmt das?, fragte ein anderer. Lasst sie doch, sagte ein Mann weiter hinten in der Menge, und viele Köpfe wandten sich nach ihm um. Es war ein rundlicher Mann mit schwarzem Haar und wässrigen Augen. Wenn sie’s macht und runterfällt, müssen wir uns nicht mehr mit ihr abgeben. Dann sind wir sie los. Leises Gelächter brandete auf. Della betastete die Silberschnalle am Gurt, der einem Zaum nicht unähnlich war. Schickt mich da rauf, sagte sie, und ich erledige die Arbeit. Ich will das machen, ganz einfach. Lasst mich die Krone kappen, und ich arbeite so schnell, dass euch schwindelig wird. Jetzt steigerte sich das Gelächter zu lautem Gewieher. Lady, sagte ein Mann und räusperte sich, weil es irgendwie lächerlich klang, sie so zu nennen, Lady, Sie gehen da rauf und erledigen einfach bloß die Arbeit. Sie müssen nicht gut darin sein. Ich werde die Beste sein, erwiderte sie, und ein anderer sagte: Schick sie rauf! Es gab keine weiteren Diskussionen, und da es schon spät geworden war, wurde eine Flasche herumgereicht, und viele, die zuerst abgelehnt hatten, tranken bei der zweiten Runde mit. Sie führten Della zu dem Baum und hoben sie hoch, denn sie war zu klein, um den Ausgangspunkt zu erreichen, und sobald sie so weit war – sie hatte die Beine um den Baum gelegt –, traten sie zurück und Della fing an zu klettern.
    Nach einem Viertel der Strecke begann sie zu weinen; ihre Hose taugte nicht für diese Arbeit, und die Innenseiten ihrer Schenkel waren bald heiß und wund gescheuert. Die Männer reichten die Flasche herum und beobachteten sie. Als sie halb oben war, ging die Sonne unter, und sie riefen ihr anfeuernde Worte zu, die sie kaum hörte. Oben angekommen, konnte sie sie gar nicht mehr hören. Sie fürchtete, zu schwach zu sein, um die Säge zu handhaben. Sie schaute hin und wusste augenblicklich, dass sie es nicht schaffen würde.
    Es wurde dunkel. Eine

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