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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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Nachmittag hier zu tun. Dann wandte er den Blick ab, und Talmadge begriff, dass er ihn in der Zwischenzeit vergessen hatte.
    Talmadge ging zu seiner Bank zurück. Kurz darauf kam der junge Mann heraus und fragte ihn, weswegen er denn hier sei. Vielleicht kann ich Ihnen helfen, sagte er.
    Ich möchte Della Michaelson besuchen.
    Der Gesichtsausdruck des jungen Mannes änderte sich nur leicht, doch es war deutlich, dass er wusste, von wem Talmadge sprach. Er entschuldigte sich und sagte, er sei gleich zurück. Als er nach ungefähr zehn Minuten wiederkam, stand Talmadge auf. Della könne heute keinen Besuch empfangen, sagte der junge Mann. Er dürfe keine Einzelheiten preisgeben, doch sie sei diese Woche in eine Auseinandersetzung verwickelt gewesen und befinde sich seitdem in Einzelhaft.
    Der junge Mann schien bemüht, sich nicht von seiner Verlegenheit, seinem Unbehagen überwältigen zu lassen.
    Talmadge stand reglos und schweigend da. Das Wort »Auseinandersetzung« alarmierte ihn. Er hätte dem jungen Mann – wie alt war er, zwanzig, fünfundzwanzig? – gern die Hand auf die Schulter gelegt und ihn alles erklären lassen. Was soll das heißen, eine »Auseinandersetzung«? Doch er tat nichts dergleichen. Stattdessen sagte er:
    Eine Auseinandersetzung, sagen Sie? Hier?
    Ja, Sir.
    Kann es denn in der Haft zu Auseinandersetzungen kommen?
    Oh ja, Sir. Der junge Mann sah aus, als bedaure er das; er verzog das Gesicht.
    Talmadge zögerte. Aber ihr ist doch nichts passiert, oder?
    Nein, sagte der junge Mann und schwieg einen Moment. Ich glaube, ihr ist nichts passiert …
    Talmadge wartete ab, denn der andere schien weiterreden zu wollen. Doch dann errötete der junge Mann und schüttelte nur kurz den Kopf.
    Talmadge sagte: Sie ist ein gutes Mädchen, ich verstehe nicht, warum sie …
    Aber er fuhr nicht fort. Seine Stimme klang selbst in seinen eigenen Ohren nicht überzeugend. Er schaute auf die grau tapezierte Wand hinter dem jungen Mann.
    Hat sie sich denn bisher gut benommen?, fragte Talmadge. Ist dies das erste Mal, das so etwas vorgefallen ist?
    Der junge Mann zögerte.
    Ich darf dazu nichts sagen, Sir. Sie müssen darüber mit dem Amtsrichter sprechen. Es steht alles in ihrer Akte. Ich bin nicht befugt …
    Talmadge nickte abwesend.
    Der junge Mann war jetzt zwar in Abwehrhaltung, doch es war offensichtlich, dass Talmadge ihm leidtat. Es hatte keinen Sinn, ihn weiter auszuquetschen oder zu bedrängen, er solle ihn Della besuchen lassen. Dieser Junge hatte nicht das Zeug dazu, gegen die Regeln zu verstoßen, das sah Talmadge deutlich, und er wollte ihm deswegen kein schlechtes Gewissen bereiten.
    Sie können hier warten, sagte der junge Mann, oder morgen wiederkommen. Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht weiterhelfen kann.
    Morgen kann ich nicht kommen, sagte Talmadge. Da muss ich zurückfahren.
    Der junge Mann wirkte gequält. Das tut mir leid, sagte er.
     
    Auf dem Rückweg zur Pension fragte sich Talmadge, jetzt blind für alles Neue an diesem Ort, all die Einzelheiten, die Stunden zuvor noch seine Aufmerksamkeit erregt hatten, was genau Dellas Akte enthalten mochte. Alles, was man seit dem Beginn ihrer Haft über sie wusste, oder noch weitere Informationen? Wussten sie über ihre Vergangenheit Bescheid? Hatte sie ihnen von sich erzählt? Talmadge fragte sich, ob es in der Akte wohl eine Liste der Personen gab, die ihr helfen würden, falls sie auf freien Fuß gesetzt wurde. Eine Liste der Menschen, die für sie bürgen könnten – er selbst, Caroline Middey, der Richter, Clee, Angelene –, würde doch sicher etwas ausmachen. Er nahm sich vor, mit dem Amtsrichter – und dem Richter zu Hause – darüber zu sprechen.
     
    Er verschlief das Abendessen in der Pension, wachte gegen zehn Uhr auf, zog sich an und ging hinunter. Im Haus war alles still. Ein paar Lampen im Wohnzimmer brannten, und unter einer davon saß die Wirtin auf einem Stuhl in der Ecke und strickte. Als er in der Tür erschien, blickte sie auf.
    Im Ofen steht ein Teller für Sie, sagte sie. Ich wollte Sie nicht stören. Sie schaute wieder auf ihre Hände, die ihre Arbeit nicht unterbrochen hatten. Als er in der Tür verweilte, legte sie das Strickzeug beiseite und erhob sich.
    Lassen Sie nur, sagte Talmadge. Ich kann mir selbst etwas zu essen holen, wenn …
    Es macht mir nichts aus …
    Er folgte ihr über den dunklen Flur. In der Küche zündete sie eine Laterne an und forderte ihn auf, Platz zu nehmen. Er setzte sich an einen

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