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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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Muss operiert werden. Aber bis zur Verhandlung schafft er’s wohl noch. Das ist alles, was uns hier interessiert …
    Und er funkelte sie an, als ärgerte er sich darüber, ihr so viel verraten zu haben. Doch dann begriff sie, dass er nur aufgeregt war.
    Sie schaute weg. Sagte ausdruckslos: Er sah wirklich nicht gut aus. Bin froh, dass ihm geholfen wird …

    Talmadge hatte ursprünglich vorgehabt, sofort den Wagen anzuspannen, um Della zu besuchen, doch der Richter sagte, da sie sich in Haft befinde, gebe es bestimmte Regeln zu beachten. Sonst würde er womöglich den langen Weg dorthin machen und dürfe sie dann, aus welchem offiziellen oder rechtlichen Grund auch immer, gar nicht sehen. Also setzte Talmadge mithilfe des Richters einen Brief auf, in dem er den Amtsrichter um die Genehmigung bat, Della Michaelson zu besuchen, die, wie ihm gerade bestätigt worden sei, bei ihm in Haft sitze.
    Zwei Wochen später erhielt der Richter eine Antwort. Talmadge könne sie am kommenden Freitag jederzeit zwischen zehn Uhr morgens und vier Uhr nachmittags besuchen.
     
    Als sie am nächsten Abend bei Forelle und Rahmspinat auf der Veranda saßen, erzählte Talmadge Angelene, dass der Richter Della gefunden habe; sie lebe in Chelan.
    Angelene kaute erst langsamer und dann gar nicht mehr.
    Er sagte ihr nicht, dass Della in Haft war. Das könnte er später noch tun, dachte er, wenn er mehr über Dellas Lage wusste.
    Ich werde sie besuchen, fuhr er fort. Ich habe mir überlegt, dass ich erst mal allein hinfahren sollte. Ich nehme das Maultier. Dann: Ich glaube, es ist einfach das Beste, wenn ich diesmal allein fahre.
    Angelene sagte zuerst nichts. Sie nahm die Gabel wieder auf, aß ein Stück Forelle. Und überraschte ihn dann mit der Bemerkung: Ich möchte sowieso nicht mit.
    Ihre Stimme war sanft. Er betrachtete kurz ihr Profil, bevor sie demonstrativ den Kopf abwandte und zu den Bäumen schaute. Sollte er sie fragen, was los war? Warum sie nicht mitfahren wollte? Es lag ihm auf der Zunge, aber im letzten Augenblick zögerte er. Und dann war es zu spät: Der Moment war verstrichen.

    Er brach früh am Morgen auf. Angelene kam mit einer Decke um die Schultern auf die Veranda und sah ihm bei seinen letzten Vorbereitungen zu.
    Er fragte sie erneut, ob sie nicht doch lieber bei Caroline Middey wohnen wolle, solange er fort sei. Sie schüttelte den Kopf.
    Du hast gesagt, das muss ich nicht.
    Musst du ja auch nicht. Ich will nur nicht, dass du Angst bekommst, so ganz allein hier draußen.
    Ich hab keine Angst.
    Aber es könnte einsam werden.
    Sie zuckte mit den Schultern.
    Nicht dass ein Bär kommt und dich wegschleppt.
    Hier gibt’s keine Bären.
    Ich hab erst neulich einen gesehen.
    Gar nicht.
    Aber sie hatte gelächelt, ganz kurz.
    Du weißt, wo das Geld ist. Du weißt, wo das Gewehr ist.
    Ja, sagte sie. Ich weiß, wo alles ist. Und dann blickte sie halb belustigt, halb verärgert in den Wald. Fährst du jetzt nach Chelan, oder nicht?
    Na schön, sagte er, stieg in den Wagen und winkte ihr zu. Auf halbem Weg über die Weide drehte er sich noch einmal zur Hütte um, doch Angelene war nirgends mehr zu sehen, weder auf dem Rasen noch auf der Veranda.
     
    Der Mann, Michaelson – er nannte sich jetzt allerdings De Quincey, sie hatte gehört, wie ein Wärter und auch ein anderer Häftling ihn so anredeten –, war tatsächlich krank. Was sie bereits bemerkt hatte, als er die Straße entlanggegangen war, blinzelnd und desorientiert, schien keine vorübergehende Unpässlichkeit, sondern ein ernstes Leiden zu sein. Sie brauchte nicht genau zu wissen, was er hatte: nur dass er ohne eine baldige Operation sterben würde.
    Sein Zustand verschlechterte sich zusehends. Sie war jetzt seit einem Monat in Haft, und wenn er an ihrer Zelle vorbeikam, war er ein massiger Kopf, dessen Gewicht auf ein klappriges Knochengestell drückte. Aber selbst so, in gebeugter Haltung, schien er noch beeindruckend groß. Der alte langgliedrige Körper. Er konnte sich wegen seiner Krankheit nicht mehr frei bewegen. Wenn er sich den Gang hinunterschleppte – die Arme um den Bauch geschlungen, als wollte er seine Eingeweide zusammenhalten –, bemerkte er sie nach wie vor nicht. Doch eines Tages, als er wieder als Letzter vom Hof hereingeführt wurde – der Wärter war noch draußen, er hinkte ebenfalls hinterher –, sagte sie seinen Namen: Michaelson. Er sah verwirrt zu ihr hin, ein Mann, der aus einem fernen Traum kam. Er brauchte einen Moment, bis er

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