Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)
Wut. Ich legte den zweiten Pfeil auf. Aber Blacklord war schon hinter dem Altar in Deckung gegangen. Ich zog mich wieder in das Dunkel des Säulenganges zurück. Endlich fanden meine Augen Blacklord wieder. Er richtete sich gerade auf und begann mit seinem Flammenwerfer wahllos in die Menge zu schießen, wohl in der Hoffnung durch einen glücklichen Zufall auch mich zu treffen. Ich legte einen der Pfeile mit stumpfer Spitze auf und traf ihn genau auf die Stirne. Er fiel zu Boden wie ein nasser Sack. Ohne auf Widerstand zu treffen, durchbrach ich die holografischen Gitter, durchquerte ganze Heere von Dämonen und gelangte in den Technikraum.
"Die Türen!", brüllte ich den Mann an, der sich angstvoll über seine Kontrollkonsole gebeugt hatte. Er betätigte zwei Schalter. Die riesigen Steintore schwangen langsam auf. Wächter wie Sklaven drangen hinaus und stürmten orientierungslos auf den Tempelvorplatz. Ich zerrte Blacklord an seinem riesigen Kragen hinter dem Altar hervor und über den Steinboden aus dem Tor. Allein der Anblick seiner Gestalt löste weitere Angstschübe bei den Menschen aus. Im hellen Licht des Tages zog ich ihm seinen Superumhang aus. Darunter kamen die Vorrichtungen für den Flammenwerfer zum Vorschein. Ich löste sie von seinen Schultern und warf sie die Stufen hinunter. Jetzt blieben viele Menschen stehen und kehrten wieder zurück zum Tempeltor. Blacklord stand da, nur mit einer Hose bekleidet, schwankend, ein alternder Mann mit starkem Bauchansatz. Er fröstelte im Nordwind. Die Beschwörung war vorüber. Ich stieß ihn nach vorne, der Menge entgegen.
"Das ist der, vor dem ihr solche Angst hattet."
Sie begannen zu johlen. Bestimmt waren sie noch weit davon entfernt, ihr Sklaventum endgültig abgestreift zu haben. Aber immerhin, wenn es ein Anfang für die Freiheit ist, den Unterdrücker in Stücke zu reißen, dann befanden sie sich auf dem besten Weg. Und sie gingen ihn gründlich. Zeit der Stärke.
*****
Charles begann den neuen Tag meditativ und nachdenklich. BTM musste umdisponieren. Das war nicht ohne erhebliche Kosten möglich. Der Vorstand würde nicht sehr zufrieden mit ihm sein. Wer konnte auch ahnen, dass Blacklord dermaßen gründlich versagen würde. Charles lehnte sich zurück und entspannte sich. Ein Konzern ist wie ein lebender Organismus. Er lebt nicht nur aus einer Zelle und nicht nur aus einem Glied. Wunden heilen. Zellen sterben ab und werden erneuert, die Funktionen eines kranken Gliedes werden von einem gesunden übernommen. Was in diesem Lande nicht möglich war, wurde eben in einem anderen produziert. Letztlich bekamen sie immer, was sie wollten.
Serie
11.September gegen 2.00 Uhr
Gerd stöberte in den Protokollen alter Fälle. Er hatte Nachtschicht: Psychotherapie per Computer, Tag und Nacht. Aber jetzt musste er kurz seine Augen schließen. Sie begannen zu tränen. Das geschah gegen 2.00 Uhr morgens oft. Es wunderte Gerd nicht: Schiere Ermüdung. Schließlich kostete es Kraft, ständig auf den hellen Bildschirm des Computers zu starren.
Gerd erhob sich aus seinem Sessel und betrat das Bad. Er ließ sich heißes Wasser ins Handwaschbecken laufen, sah in den Spiegel und nahm die Brille ab. Er begann sich zu rasieren. Gerd sah etwas genauer hin, setzte sogar die Brille wieder auf. Sofort beschlug sie. Das heiße Wasser im Handwaschbecken sandte feuchte Schwaden aus. Gerd sah die Rasierschaumbrocken wie schmutzigen Schnee auf dem Wasser schwimmen. Er kam zu dem Entschluss, die Brille wieder abzusetzen. Aber der erste Eindruck, den ihm der Spiegel vermittelt hatte, blieb: Die Falten zwischen seinen Augenbrauen und die Falten auf seiner Stirne schienen ihm weniger tief und nicht mehr so scharf wie gestern. Er wirkte jünger.
Schon gestern hatte er sich beim Rasieren gefragt: Wo sind die tiefen Kerben zwischen meinen Augenbrauen eigentlich geblieben? Wo waren die Gräber der Illusionen, die an der Front des Lebens viel zu früh gefallen waren? Jetzt waren sie fast verschwunden. Obwohl er sich nicht so fühlte. Er fühlte sich alt und verbraucht.
Er hörte den sonoren Gong aus dem Arbeitszimmer. Der Computer meldete ihm den Eingang einer E-Mail. Es war im September und 2.21 Uhr nachts. Gerd seufzte. Die Pflicht rief. Seitdem er seine eigene Beratungshomepage hatte, gab es keine Ruhe mehr. Er seufzte: Er musste unbedingt noch eine Vertreterin oder einen Vertreter einstellen, um sich die harten Nachtstunden abnehmen zu lassen. Denn sein Service reichte rund
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