Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)
Eindringling, in Augenschein zu nehmen.
Die Sonne begann den Rand des westlichen Waldes zu streifen. Halblicht breitete sich aus. Viel würde mir das Dunkel wahrscheinlich nicht nützen. Wenn schon die Kameras eine Körperwärmelenkvorrichtung besaßen, waren die Wachen bestimmt ähnlich, wenn nicht gar noch besser ausgerüstet.
Ich versuchte , so viel wie möglich von meiner Umgebung aufzunehmen. Ich roch die Menschen in den langgestreckten Baracken. Es roch nach Arbeit und Abhängigkeit. Die Menschen , die zwischen den Baracken hin und herpendelten, waren unterschiedlicher Hautfarbe. Ein Ausländerwohnheim, entschied ich. Hier war unser Bundespräsident bestimmt noch nicht gewesen.
Neben den Baracken waren noch größere, wesentlich höhere Gebäude errichtet worden. Fabrikhallen. Sie rochen trocken und rational. Mit großem Abstand folgte ein altes Gebäude, das ich spontan: "Das blaue Palais" taufte. Es roch nach Angst. Besonders die zwei langgestreckten Schuppen auf seiner linken Seite. Sie rochen nach der absoluten Verzweiflung, die bei Menschenversuchen normal ist. Ich hatte da einschlägige Erfahrungen.
Links neben dem Palais und seinen Nebengebäuden wälzte sich, wie einst der riesige, alte Drache Fafnir, ein Höhenzug bis ins Tal hinunter. Einige Felsbrocken auf der Talsohle bildeten verblüffend ähnlich Fafnirs Kopf nach. Über seiner linken Schulter wurde ein Gebäude sichtbar, das erstaunliche Ähnlichkeit mit einem alten Tempel hatte, mit einem indischen Tempel. Es war der Tempel aus meinem Traum. Hier roch es nicht nur nach Angst. Es stank geradezu nach Angst, nach Mord und nach Vergewaltigung. Ich seufzte. So ein schönes Tal und soviel menschliche Hässlichkeit.
Ich hörte hinter mir das Gebell von Hunden. Und dann jenes knurrende Röcheln, wenn die Hunde im Jagdeifer vorwärtsschnellen und ihre Herren wie lästige Anhängsel hinter sich herzerren. Offensichtlich wollten sie mich nicht töten, sonst hätten sie die Hunde losgelassen. Mir blieb nur noch wenig Zeit. Vor meinem geistigen Auge sah ich die Sklaven, ich sah die Wächter, ich sah die verängstigten Tiger, aber ich sah noch nicht den Maharadscha, zu dessen Pläsier und womöglich auch Nahrung dies alles gebaut war. Ich begann den Rucksack ganz auszupacken, zog die eingerollten Flügel hervor, schraubte die Alurohre ineinander und spannte das schwarze Segeltuch darüber, und der Gleiter war bereit. Der Bogen war mit zwei Handgriffen montiert. Ich schwang ihn über den Rücken. Die Pfeile trug ich im flachen Köcher an der Seite. Jetzt hörte ich die Hunde in unmittelbarer Nähe, da lehnte ich mich auf das Traggestell meines Gleiters und stieß mich ab. Etwa fünfzig Meter fiel ich in steilem Flug nach unten. Den Sturz brauchte ich, um Schwung zu holen. Dann verlagerte ich mein Gewicht nach rechts und flog einen flachen Bogen über die Sklavenhütten. Ich war mir sicher, dass mich meine Verfolger gegen den dunklen Höhenzug auf der anderen Seite aus den Augen verlieren würden, falls sie mich überhaupt gesehen hatten.
Wie auf ein Stichwort fuhr im Tal eine schwarze Limousine heran. Devote Menschen liefen herbei, und hielten einen gehörigen Abstand, als der Wagen hielt. Offenbar hatten sie noch nicht die Erlaubnis bekommen, dem Maharadscha die Füße zu küssen. Und tatsächlich, da war er. Der Psychopath in Person. Alle Kraft, alle Energie versammelte sich in seinem oberen Brustkorb. Er schien geradezu auf Zehenspitzen zu gehen, ein festgefrorenes Lächeln auf seinen Lippen. Er schritt wie ein Gott auf die Menge zu, aber ein Totengott.
Ich lag jetzt beinahe bewegungslos im Aufwind, der aus nördlicher Richtung ins Tal blies. Der Bogen fiel mir fast von selbst in die Hand, ich spannte ihn und ließ den Wagen ins Schußfenster des Bogens gleiten. Der Pfeil verließ die Sehne mit diesem eigentümlich summenden Ton, dessen Schwingung allein schon zur Meditation einlädt. Von oben sah ich gelassen zu , wie der Herrscher seine Würde verlor und um sein Auto preschte, als der Pfeil in seine Windschutzscheibe schlug. Mein Gewicht weiter nach rechts verlagernd, zog ich den Gleiter höher, ließ mich dann abfallen und landete auf dem Rücken des Drachens. Es wurde schnell dunkel. Unten war jetzt bestimmt alles im Alarmzustand. Ich wusste, das war gut. Nicht nur, dass Alarm alle Menschen nervös macht. Bei dieser Art von Hierarchien kommt die Furcht dazu, im Versagensfall hart bestraft zu werden, vielleicht sogar mit dem Tode. Das trägt nicht
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