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Im Morgengrauen

Im Morgengrauen

Titel: Im Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Béchar
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um seine Fangzähne zu zeigen und leckte dann einfach weiter.
    „ Hast du gehört? Du sollst aufstehen!“
    Philippes Ton war scharf. Er schubste die Raubkatze unsanft mit dem Fuß, worauf sie ihn bedrohlich anknurrte. Ich konnte Yannicks Unbehagen regelrecht spüren. Als Katze wusste ich es besser, es war bloß eine kleine Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn, nichts Gefährliches.
    „ Du Dickschädel! Immer musst du deinen Kopf durchsetzen, und ich bin am Ende derjenige, der es ausbaden muss. Wehe, du rufst deine Mutter nicht an, um ihr zu sagen, dass du den Zug verpasst hast.“ Er ging zwei Schritte und hielt wieder inne. „Und erzähl ihr bloß nicht, was heute passiert ist, sie bringt mich noch um.“ Tja, wenn er so viel Respekt vor seiner Ex hatte, war sie definitiv eine Gestaltwandlerin. „Komm Yannick! Lass uns gehen“, sagte er schließlich in einem freundlicheren Ton.
    „ Könnte ich zwei Minuten mit Lilly haben? Allein!“
    „ Klar.“
    Philippe ging wieder weiter zur Tür. Als er merkte, dass Damien sich keinen Millimeter gerührt hatte, schnipste er mit den Fingern und zeigte mit finsterer Miene in die Ecke. Widerwillig verzog sich der Leopard zum anderen Ende der Scheune. Egal, wie laut oder wie leise Yannick zu sprechen vermochte, das Tier würde ihn hören. So viel zur Zweisamkeit.
    Yannick schmiegte sich an mich. Ich spürte seine Wärme in meinem Rücken, während seine Hand mein Fell kraulte.
    „ Ich muss aufbrechen, Lilly. Wir gehen in die Vogesen, um dem Rat einen Besuch abzustatten. Ursprünglich wollte Laurence erst morgen hin. Nach allem, was geschehen ist, halten wir es für besser, nicht länger zu warten. Damien hat Alain getötet, und es sind mindestens drei Wölfe schwer verletzt. Vielleicht sind sie bereits tot. Philippe und Laurence befürchten eine Vergeltung. Die Frauen haben ewig telefoniert, um Therianthropen und Hybriden zusammenzutrommeln. An die zwanzig sind bereit, sich uns anzuschließen. Jeremy, Loïc und Vincent werden auch da sein. Ich kann sie nicht mit so vielen Gestaltwandlern allein lassen. Wir versuchen heute Nacht noch zurückzukommen. Deine Großmutter, Anna und Miguel bleiben auf jeden Fall hier … Und … es sieht nicht so aus, als wollte Damien seinen Zug nehmen.“
    Als er meinen Bauch streichelte, bewegte sich mein Bein reflexartig, was sofort Schmerzen auslöste. Ein Knurren entfuhr unwillkürlich meiner Kehle. Ich erschrak. Yannick sollte keine Angst vor mir bekommen. Hatte er auch nicht. Sein Kopf kam näher: „Entschuldige, das wollte ich nicht … Vergiss nicht, dass ich dich liebe … Egal was passiert.“
    Seine Finger fuhren ein letztes Mal durch mein Fell, er gab mir einen Kuss auf den Nasenrücken und ging. An der Tür hielt er inne und sah Damien auf einer merkwürdigen Weise an. Misstrauen lag in der Luft und ich fragte mich, was es mit dem
„Egal was passiert“
auf sich hatte. Ich kam zu keinem Schluss, denn kaum war Yannick weg, betraten Manuel und Laurence die Scheune, um nach mir zu sehen und sich zu verabschieden. Wie gerne hätte ich ihnen viel Glück gewünscht, was mir verwehrt war. Ich hoffte, sie konnten meine Blicke besser deuten als Philippe.
     

    Nach ihrem Aufbruch leckte Damien unermüdlich meine Wunde weiter. Er gönnte sich nur wenige Pausen, um seine Augen in meine hineinzubohren. Sein Zungenschlag tat mir weh, und die Art, wie er mich anstarrte, war mir unangenehm. Ob er Mensch oder Katze war, unter seinen Blicken fühlte ich mich unbehaglich. Ich schloss meine Augen, um den seinen zu entkommen. Darauf bedacht mich abzuschotten, schaffte ich es sogar irgendwann einzuschlafen.
    Plötzlich war mir ganz heiß. Wärme hatte sich in mir ausgebreitet und ich spürte ein Gewicht auf meinem Bauch. Der Leopardenkopf lag auf mir. Ich knurrte leicht, da ich ungern als Kissen diente. Damien stand sofort auf und vertrat sich die Pfoten. Als ich meinen Oberkörper aufrichtete, um nach meiner Verletzung zu sehen, stand er wieder da, schubste mich mit dem Kopf wieder in die Horizontale, und machte sich gleich wieder ans Werk. Seine raue Zunge tat nicht mehr weh. Im Gegenteil, sie kitzelte mich sogar am Innenschenkel. Demnach fühlte ich mich genesen und ließ ein neues Knurren von mir hören. Worauf er mir gestattete, nach meiner Verletzung zu sehen. Die Wunde war völlig geschlossen, bloß eine rote Narbe war zurückgeblieben.
Bloß
ist gut, sie war groß – riesig sogar. Ich fragte mich, wie sie wohl auf einem Menschenbein

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