Im Morgengrauen
selbst zu übernehmen. Kleinlaut zog er sich wie ein begossener Pudel zurück und verschwand hinter meinem Rücken. Gut so! Sollte er sich verwandeln und gehen.
Aber dann … lief er an mir vorbei, die Tüte im Maul. Ich versuchte ihn zu ignorieren, mich auf meine Narbe zu konzentrieren. Er blieb aber stehen. Ich musste nicht einmal hochschauen, um ihn zu sehen, mein Sichtfeld war sooo groß. Das wusste er. Er war schließlich schon länger Katze als ich. Was zog er für eine Show ab? Sollte ich etwa zusehen, wie er seine menschliche Gestalt wieder annahm? Allem Anschein nach ja.
Ich guckte meine Narbe an, fixierte sie regelrecht, tat, als ob seine Verwandlung mir gleichgültig wäre. Aber in Wirklichkeit brannte ich darauf, seine Metamorphose zu sehen. Wem versuchte ich etwas vorzumachen? Ich konnte mich nicht länger auf meine Narbe konzentrieren. Seine Blicke lasteten auf mir, ich spürte sie, schwer und erdrückend … Und genauso konnte er mich spüren. Ich wusste, der Leopard witterte die Neugierde, gegen die ich versuchte anzugehen. Als Tier war ich eine noch schlechtere Lügnerin. Also sah ich zu. Machte mir vor, ich würde nur einen Blick riskieren … Aber dann konnte ich meine Augen nicht mehr von ihm abwenden.
Dieses animalische Profil, das die Form einer menschlichen Silhouette annahm, faszinierte mich. Wie hypnotisiert vergaß ich, dass ich eigentlich desinteressiert hatte wirken wollen. Meine Augen trafen die seinen, als sein Kopf sich auf halbem Weg zum menschlichen Gesicht befand. Er war weder Katze noch Mensch. Es war, als würde er eine Maske tragen. Eine Maske, die weder die Katze noch die Frau in mir schockierte, beide waren gefesselt. Ich musste mich nicht nähern, um das Spiel der Muskeln unter seiner Haut zu betrachten, meine Sehkraft war durch die Dämmerung der Scheune kein bisschen beeinträchtigt, ganz im Gegenteil. Obwohl die Haare des Leoparden sich völlig zurückgezogen hatten, waren seine Flecken immer noch sichtbar.
Schlagartig wurde mir klar, dass gleich ein nackter Mann vor mir stehen würde. Als er sich aufrichtete, drehte ich ihm den Rücken zu, fest entschlossen, ihn nicht mehr anzuschauen, solange ich mir nicht sicher war, dass er Kleider am Leibe trug.
Während ich die Tüte rascheln hörte, versuchte ich, das Ganze zu verarbeiten. Die Frau flüsterte mir, ich hätte nicht zugucken sollen, die Katze, dass dies das Natürlichste auf der Welt war. Na ja … fast. Wenn man eine Metamorphose als natürlich betrachten konnte. Ich fragte mich, ob Wölfe sich generell schneller verwandelten als Therianthropen. Bei Alain hatte ich nicht viel gesehen. Auf einmal hatte ein Tier vor mir gestanden. Schließlich war ja auch Adrenalin im Spiel gewesen. Aber irgendwie kam mir der Verdacht, dass Damien mit Absicht die Verwandlung in die Länge gezogen hatte, und ich blöde Katze war dem Geifern nah gewesen. Ich war gerade dabei, mich zu strecken, als ich hörte, wie er sich näherte. Völlig angezogen setzte er sich im Schneidersitz vor mich.
„ Geht es dir wieder besser? ... Kreislaufmäßig, meine ich.“ Ich bejahte mit einem Kopfnicken. „Es war das erste Mal, dass sich jemand vor dir verwandelt hat, oder?“ In der Tat. Alain zählte nicht und bei Manuel hatte sich alles in meinem Rücken abgespielt. Ich bestätigte erneut mit einem Kopfnicken. Er sollte ja nicht denken, das Interesse hätte ihm gegolten. Die Neugierde war rein wissenschaftlich gewesen. „Lilly …“ Er zögerte weiterzusprechen. „Erlaubst du mir, nachher bei deiner Verwandlung zuzusehen?“ Nein, auf keinen Fall. Mein Kopfschütteln war so heftig, selbst ein Blinder hätte den Wind gespürt, den ich dabei erzeugte. Es kam nicht infrage, dass Damien zusah, wie ich zu meinem anderen Ich wurde. In eine andere Haut zu schlüpfen hatte für mich etwas Intimes. Selbst Yannick war noch nie Zeuge einer Metamorphose gewesen, nicht wirklich. Statt mich anzugucken, war er an diesem Morgen ins Bad gerannt. „Bitte, Lilly. Ich verspreche dir, dass ich Abstand halte … Wenn du willst, kann ich mich umdrehen, bevor du nackt bist … Falls es das ist, was dich stört.“
Wieder wehrte ich mich mit einer Kopfbewegung vehement dagegen. An meiner Meinung gab es nichts zu rütteln. Dass er sich mir gezeigt hatte, änderte gar nichts. Schließlich hatte ich nichts gefragt. „Bitte …“, flehte er mich erneut an. Wenn er die Frau nicht verstehen wollte, sollte die Katze sprechen. Bingo! Mein Fauchen setzte seinem Gesuch ein
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