Im Morgengrauen
aussehen mochte. Langsam stand ich auf, mein Kopf drehte sich und meine Beine, die sich wie Watte anfühlten, hatten Mühe, meinen Körper zu tragen. Nach wenigen Schritten ließ ich mich wie ein nasser Sack fallen. Nichtsdestotrotz empfand ich Erleichterung. Mein Kreislauf war zwar angeschlagen, ich war aber ohne Beschwerden gegangen und, wie ich glaubte, ohne zu hinken. Nachdem Philippe von beschädigten Nerven gesprochen hatte, war ich auf das Schlimmste gefasst gewesen.
Auf einmal ließ sich Damien neben mir nieder und machte sich daran, mich weiter zu pflegen, als wäre dies immer noch notwendig. Erneut knurrte ich ihn an. Statt sich zu unterwerfen, wie die Male davor, fauchte er mich an. Die Frau in mir erschrak vor dem Anblick seiner Fangzähne, die Katze versuchte, sie zu beruhigen: Der Leopard hatte lediglich seine Meinung geäußert, er war keine Bedrohung. Dessen war ich mir ziemlich sicher, und doch traute ich mich nicht zu protestieren.
Mit Erleichterung sah ich meine Großmutter die Scheune betreten.
„ Lilly! Endlich, du bist wach. Ich habe dir Kleider mitgebracht. Erlaubst du?“ Sie stieß den Leoparden mit dem Fuß an. Ihre Körpersprache zeigte Wirkung, Damien machte Platz, ohne zu murren, damit sie sich mein Bein anschauen konnte.
„ Unglaublich! Die Wunde ist schon zu. Danke, Damien, das hast du gut hingekriegt. Man sollte die Narbe weiterhin mit Spucke bearbeiten, damit sie heller wird. Ich bin mir aber sicher, dass Lilly das selbst machen kann.“
Der Sarkasmus in ihrer Stimme war nicht zu überhören, für eine Katze schon gar nicht, denn gerade für Tiere macht der Ton die Musik.
Ich hob den Kopf, stützte mich auf die Vorderpfoten, und stellte dabei fest, dass ich wohl an meine Narbe herankam. Die Stellung war zwar alles andere als bequem, sie würde mir aber helfen, meinen Kreislauf wieder in Schwung zu bringen.
„ Siehst du!“, meinte sie weiter zu Damien. „Du kannst dich zurückverwandeln, Lilly braucht dich jetzt nicht mehr. Ich wette, du hast einen riesigen Hunger. Und Antilope gibt es nicht!“
Das mit der Antilope klang nicht wirklich wie ein Scherz. Ich hatte ein Frühstück aus rotem Fleisch vor Augen und war kein bisschen erschrocken oder abgeneigt. Was passierte mit mir? Ein paar Stunden in der Haut eines Tieres und schon fing ich an, wie ein solches zu denken.
Damien lief langsam zu einer Plastiktüte, nahm sie ins Maul und verzog sich in eine Ecke der Scheune hinter meinem Rücken.
„ Bist du bereits aufgestanden?“, wollte meine Großmutter wissen. Ich nickte. „Hattest du Schmerzen?“ Diesmal schüttelte ich den Kopf. „Gut!“ Sie kraulte mich hinterm Ohr. „Ich muss gehen, bevor Marie hier hereinplatzt. Du kennst deine Schwester, es ist gar nicht einfach, sie loszuwerden. Anna versucht gerade, sie zu beschäftigen. Sie wird froh sein zu hören, dass es dir besser geht. Sie ist bereits dreimal da gewesen, du hast jedes Mal geschlafen. Stell dir vor, selbst Miguel ist vor lauter Sorge um dich hergekommen. Du hättest ihn heute Morgen nicht erkannt, er hat uns alle verblüfft. Schon traurig, dass seine Familie erst in Gefahr geraten muss, damit er zeigen kann, dass sie ihm am Herzen liegt. Dein Vater schläft immer noch seinen Rausch aus. Ich habe gehört, wie er zur Toilette gegangen ist heute früh, gesehen habe ich ihn aber noch nicht. Es ist gleich elf, ich gehe davon aus, dass er bald aufstehen wird. Ich habe vor, ihm zu sagen, dass Yannick nach Hause gefahren ist, weil sein Bruder einen Unfall hatte, und dass du ein Picknick mit Melanie machst. Du kannst dir also Zeit lassen. Du solltest die Narbe weiter pflegen, damit sie schön hell wird. Wenn du dich jetzt verwandelst, wird sie Monate brauchen, um zu verblassen. Hast du Hunger?“ Ich schüttelte den Kopf – vermutlich die Frau in mir, die plötzlich rotes Fleisch vor Augen hatte. Meine widersprüchlichen Reaktionen machten mir langsam Sorgen. Litt ich etwa an einer Art Persönlichkeitsspaltung? „Umso besser“, sagte sie weiter. „Denke aber daran, etwas zu essen, bevor du nach Hause gehst. Man kommt nicht mit leerem Magen von einem Picknick zurück. Annas Kühlschrank ist voll mit Resten von gestern. Bis später!“
Sie kraulte mich noch einmal hinter dem Ohr und ging.
Zu meiner Überraschung kam Damien als Vierbeiner zu mir zurück. Er schubste meinen Kopf mit seiner Schnauze, als wollte er da weitermachen, wo er aufgehört hatte. Ich fauchte ihn an. Ich war jetzt fit genug, um das
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