Im Morgengrauen
um eine kleine Wasserflasche herauszuholen.
Er trank sie halb leer und setzte sich neben mich ins Gras. Seine Tätowierung am Arm zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich hatte sie zwar bereits gemerkt, hatte aber kein bestimmtes Motiv erkennen können. Auf den ersten Blick waren mir nur Tribals aufgefallen, beim näheren Betrachten machte ich ein Auge in der Mitte aus. Es erinnerte mich an Hieroglyphen.
„ Das Udjat-Auge“, sagte Yannick, als hätte er meine Gedanken gelesen. „Das des Falkengottes Horus. Das war das wichtigste Schutzsymbol im antiken Ägypten. Die Leute glaubten, es würde sie vor Krankheit und vor dem Bösen schützen. Es sollte ihnen Vitalität verleihen und symbolisierte den Sieg des Lichts über die Dunkelheit.“
Ich war baff. Nie hätte ich gedacht, dass dieser junge Mann, den ich eher für oberflächlich gehalten hatte, sich für die ägyptische Mythologie interessierte.
„ Und auf deinem Rücken, ist das Horus?“
„ Sagen wir, er hat mich inspiriert. Mit seinen ausgebreiteten Flügeln schwebt er zwischen Himmel und Erde, Beschützer aller Geschöpfe … Aber nicht, dass du denkst, ich würde mich für einen Gott halten, ich mag einfach Raubvögel. Früher hatte ich selbst einen Falken.“
„ Bist du abergläubisch? Glaubst du an dieses Symbol?“
„ Nicht mehr als an Werwölfe“, antwortete er mit einem Grinsen.
Ich konnte ihm nicht böse sein und lächelte zurück.
„ Es ist komisch, ich habe den Eindruck, ich habe das Tatoo auf deinem Rücken schon mal gesehen.“
Kaum hatte ich den Satz zu Ende gesprochen, bereute ich ihn und errötete. Er dachte jetzt bestimmt, seine Anmache hatte Erfolg.
„ Gut möglich!“, antwortete er zu meiner Überraschung.
„ Wie – gut möglich?“
„ Auf einem Werbeplakat für ein Eau de Toilette vor zwei oder drei Jahren vielleicht oder in einer Zeitschrift.“ Da ich ihn völlig verdutzt anguckte, fuhr er fort: „Ich arbeite ab und zu als Model, um mein Studium zu finanzieren. Ich wurde vor drei Jahren hier entdeckt, an dieser Wand. Ein Fotograf, der hier Urlaub machte, hat an die fünfzig Bilder geschossen, während ich kletterte. Ich hatte es nicht einmal gemerkt. Eins der Bilder wurde in ganz Paris plakatiert, vielleicht auch in anderen Städten. Es ist auch in verschiedenen Zeitschriften erschienen.“
Also hatte ich keine Gabe, es hatte keine Vision gegeben. Die Erklärung war ebenso schlicht wie überzeugend. Und Yannick als Model war eigentlich keine große Überraschung, er sah schließlich unverschämt gut aus.
„ Verdient man gut als Model?“
„ Na ja, es ist schon leicht verdientes Geld. Ich könnte mir aber keine Karriere in der Branche vorstellen. Dafür bin ich ohnehin zu klein. Ich möchte Journalist werden … Wieso fragst du, möchtest du modeln?“
„ Sicher nicht! Ich bin ebenfalls zu klein.“
„ Die Größe mag für den Laufsteg wichtig sein, bei den Fotos zählen vor allem die Proportionen. Du hast lange Beine, auf dem Papier sieht man nicht, ob du 1,70 oder 1,80 groß bist.“
„ Mag sein, es gäbe aber doch noch ein Problem: Ich hasse es, fotografiert zu werden.“
„ Das ist in der Tat ein Handicap“, musste er lachen.
Langsam fing ich an, ihn echt nett zu finden, und obwohl seine blauen Augen mich die ganze Zeit fixierten, empfand ich das nicht mehr als unangenehm. Plötzlich fiel sein Blick auf mein Handy: „Ist Manuel dein Freund?“
„ Ja …, nein …, doch“, antwortete ich unschlüssig.
„ Ja, nein oder doch? Du bist mir ja eine. Lass mich raten. Er war es, ist es nicht mehr, ist aber wieder dabei, es zu werden.“
„ Alles falsch. Ja, irgendwie schon. Nein, weil er es eigentlich noch nie richtig gewesen ist, und doch, weil er mir viel bedeutet.“
„ Irgendwie schon, was soll das heißen? Du bleibst ihm treu, obwohl er nichts von dir wissen will?“
„ Nein, das ist es nicht. Es ist kompliziert und geht dich außerdem nichts an. Du musst mich ziemlich albern finden“, murmelte ich beschämt.
„ Überhaupt nicht. Ich finde dich süß, vielleicht ein wenig kompliziert … Aber das macht bestimmt deinen Charme aus. So, ich muss gehen“, sagte er plötzlich und stand auf. „Mein Angebot für dein Mofa steht immer noch. Morgen früh werde ich wieder in der Werkstatt sein. Und falls du Tipps brauchst zum Klettern, zögere nicht, mich anzurufen. Gehe lieber nicht allein hinauf und vor allem, vergiss niemals, dass du auch wieder runterkommen musst.“
Er zog T-Shirt und
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