Im Morgengrauen
befleckt, die Spitze der Flügel ebenfalls schwarz.“
Er ging zum Regal und holte ein Buch über Falken hervor. Daraus suchte er ein Bild heraus, das er mir zeigte.
„ Große Ähnlichkeit zu dem, was ich sehen konnte. War das deiner?“
„ Nein, es ist ein Turmfalke, den ich in Paris fotografiert habe. Er hauste im Glockenturm der Kathedrale Notre-Dame.“ Jetzt war ich es, die überrascht guckte. „Turmfalken nisten sich gerne in alten Nestern von Eltern oder Krähen ein, in Bäumen oder Felsen, aber auch in Kirchtürmen und Speicher. Also sollte ich in Zukunft immer aufpassen, dass die Luke offenbleibt, damit du jederzeit in ein sicheres Heim kannst“, lächelte er mich an.
„ Du scheinst gar nicht schockiert zu sein.“
Er seufzte tief.
„ Vor zwei Tagen war ich erschüttert. Jetzt bin ich drüber weg. Wieso sollte mich ein Falke mehr schocken als ein Wolf oder eine Raubkatze? Ich bin eher überrascht, das stimmt. Du sprachst von mehreren Tieren.“
„ Vor zwei Wochen habe ich mich zum ersten Mal in einen Löwen verwandelt, um einem Tiger gegenüberzutreten, der meine Schwester und meinen Vater bedrohte.“
„ Ein Tiger?“
„ Ja, ein ganz gewöhnliches Tier, das einem Zirkus entflohen war. Das Seltsame bei dieser Verwandlung: Ich war ein Männchen.“
„ Sehr seltsam, in der Tat. Sonst ist ja alles völlig normal.“
„ Ich finde das nicht witzig. Du weißt ganz genau, wie ich das meine. Hast du schon etwas über … den Rat gehört?“
„ Sind das nicht ein paar Werwölfe, die aufpassen, dass die eigenen Leute nichts anstellen, was auf sie aufmerksam machen könnte?“
„ Doch, sie sorgen aber auch dafür, dass es keine Kreuzungen zwischen ihresgleichen und Therianthropen gibt.“
„ Was ist mit deinem Vater?“
„ Er ist ein ganz normaler Mensch. Er hat keine Ahnung, was ich bin, und hat nie gewusst, was meine Mutter war.“
„ Dann bist du doch nicht in Gefahr?“
„ Solange ich verstecken kann, wozu ich fähig bin, nein. Würde es rauskommen, wäre ich es bestimmt.“
„ Lilly, ich bin felsenfest davon überzeugt, dass das Schicksal unsere Wege zusammengeführt hat. Horus’ Auge passt auf dich auf“, flüsterte er. „Du hast keinen Schimmer, was ich für dich empfinde.“
Als ich seinen Atem auf meinen Lippen spürte, versuchte ich nicht mehr, ihm auszuweichen. Seine Zunge drang in meinen Mund, seine Hand berührte meinen Schenkel und glitt zu meiner Hüfte. Plötzlich hielt er inne und starrte meine nackten Beine. Ihm wurde gerade bewusst, dass sich meine Unterwäsche in seinem Wagen befand. Ganz langsam zog er mir das T-Shirt aus. Zu sehen, wie seine Augen meinen Körper erforschten, nackt, nur mit dem Topas geschmückt, ließ mich erzittern.
„ Du bist wunderschön“, hauchte er in mein Ohr, ehe er meine Brüste mit seinen Lippen streifte.
In diesem Moment wusste ich: in seinen Augen hatte ich meine Volljährigkeit erlangt.
Wir blieben lange liegen und hörten Musik:
Spirit of Man
von Bliss.
„ Sie hat eine schöne Stimme“, brach ich das Schweigen.
„ Ja, ich mag auch ihren Soul. Es ist Rachel Morrison von Bliss, leider sind sie hierzulande nicht bekannt. Ich habe sie in London entdeckt.“
Als mein Magen anfing zu knurren, schlug er vor, etwas zu essen.
„ Gute Idee. Ich habe einen riesigen Hunger.“
„ Ich auch, wir fahren nach Oyonnax, essen eine Kleinigkeit, und auf dem Rückweg suchen wir dein Mofa.“
Er zog sich schnell an und ging zum Wagen, um meine Kleider zu holen. Als er zurückkam, reichte er mir als Erstes mein Handy: „Manuel hat dich angerufen. Ich weiß es nur, weil Jeremy die Nachricht abgehört hat. Ich hätte mir das nie herausgenommen. ICH schnüffle nämlich nicht in den Sachen von anderen“, fügte er mit einem kleinen Lächeln hinzu.
Diskret wie er war, verließ er das Zimmer, als ich mein Telefon einschaltete. Auf meiner Mailbox waren zwei neue Nachrichten – zumindest waren sie das für mich. Die erste, die Jeremy abgehört hatte, war traurig. Manuel klagte, wie sehr ich ihm fehlte, dass ich unbedingt zurückrufen sollte. Er vermisse den Klang meiner Stimme. Die zweite war ebenfalls von Manuel. Im Gegensatz zu der anderen war sie kurz, bündig und entschlossen. Sie lautete: „Ich weiß alles, ich komme.“
Anscheinend hatte seine Mutter mit ihm gesprochen. Ich hätte erleichtert sein sollen, war ich aber nicht. Der Druck in meiner Brust wurde immer größer und ich versuchte, ihn zu erreichen, um ihn davon
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