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Im Morgengrauen

Im Morgengrauen

Titel: Im Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Béchar
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Problem?“
    „ Nein, im Gegenteil. Ich war davon ausgegangen, dass er mindestens so alt ist wie du.“
    „ Freue dich nicht zu früh! Er ist reifer als du denkst.“
    „ Versuchst du etwa, mich eifersüchtig zu machen?“
    „ Du hast gar keinen Grund dazu. Ich liebe dich, Yannick.“ Um dies zu untermauern, gab ich ihm einen langen Kuss. „Es wird aber immer einen Platz für Manuel in meinem Herzen geben“, neckte ich ihn dann.
    „ Solange der nur klein bleibt, kann ich damit leben … glaube ich.“
    Wir kehrten zum Mofa zurück, Yannick hob es auf, startete den Motor und fuhr damit zur Straße.
    „ Danke! Das hätte ich selber machen können.“
    „ Daran habe ich nie gezweifelt. Ich wollte nur sehen, was es auf diesem Boden taugt.“
    Mit einer Handbewegung lud er mich ein aufzusteigen und meinte: „Ich folge dir.“
    Zu Hause angekommen, stellte ich das Mofa in die Scheune und sagte meiner Großmutter Bescheid, dass ich wieder da war. Sie war bereits über Manuel im Bilde, Anna hatte sie angerufen.
    Kaum hatten wir die Felswand erreicht, fragte Yannick hoffnungsvoll: „Klettern wir?“
    „ Machst du Witze?“
    „ Sehe ich so aus? Hast du schon mal eine Katze gesehen, die nicht klettern kann oder die nicht auf allen Vieren landet?“
    „ Na ja, wenn ich mich so angucke, sehe ich zwei Arme und zwei Beine.“
    „ An dieser Wand ist es sowieso besser, denke ich. Und falls du fällst, kannst du immer noch fliegen.“
    „ Ich lache mich tot!“
    „ Nein, im Ernst jetzt: Ich bin mir sicher, dass es dir leicht fallen wird. Versuche es doch! Die ersten Meter sind die schwierigsten, weil es nur wenige Griffe gibt. Ich habe aber neulich deine Kraft gespürt. Glaube mir, du schaffst das … Und wenn nicht, ist es nicht weiter dramatisch. Traue dich einfach.“
    Das war ein Flüstern in meinem Ohr, während er hinter mir stand und mich in seinen Armen wiegte. Ich betrachtete die steile Wand.
    „ Okay!“, gab ich nach. „Ich probier’s.“
    Schließlich wollte ich es schon längst getan haben, ich war einfach nicht dazu gekommen. Dass er dabei zuguckte, störte mich keineswegs … jetzt nicht mehr. Ganz im Gegenteil, ich fand es eher beruhigend. Vielleicht konnte er mir nützliche Tipps geben. Als ich meine Jacke auszog, riet er mir, sie wegen möglicher Hautabschürfungen anzubehalten.
    „ Das wird meine kleinste Sorge sein, ich brauche Bewegungsfreiheit. Du bleibst aber unten und führst mich.“
    „ Klar“, ermunterte er mich mit einem Kuss auf die Stirn.
    Unter seinen Anweisungen kletterte ich zirka drei Meter, bis er beschloss: „Es reicht für den Anfang. Da du kein Seil hast, solltest du erstmal das Runterklettern üben … Wer hat was von Springen gesagt?“, entfuhr es ihm, als ich mich plötzlich von der Wand abstieß.
    „ Du“, antwortete ich ihm, nachdem ich sicher stand. „Hast du vorhin nicht behauptet, eine Katze würde immer auf ihre Füße fallen? Wenn du jetzt willst, dass ich weiter übe, kann ich wieder hochgehen.“
    „ Nein, ich habe das gesehen, was ich sehen wollte. Ich war mir sicher, dass du das schaffst, und vor allem, dass es dir gefällt. Jetzt möchte ich, dass wir das Bisschen Zeit, das wir noch haben, auf dem Boden bleiben.“
    Er kam näher, nahm mein Gesicht in die Hände, zog mich an sich und küsste mich.

20
     

     

     

     

    Zwei Stunden später hatte ich ein mulmiges Gefühl im Bauch. Während wir uns dem Haus näherten, hoffte ich inständig, Manuel wäre noch nicht da. Er sollte mich auf keinen Fall Hand in Hand mit meinem Freund kommen sehen. Nein, auf diese Art sollte er es wirklich nicht erfahren.
    Als ich mich zu Yannick drehte, um mich zu verabschieden, sah man mir die Nervosität an der Nasenspitze an. Bedrückt fragte er mich, ob wir uns am nächsten Tag sehen würden. Verlegen wusste ich noch keine Antwort.
    „ Ruf mich an, wenn du mich brauchst … in jeder Hinsicht.“
    „ Danke!“
    „ Wofür?“
    „ Für alles. Dafür, dass du für mich da bist. Übrigens, was ist mit deinem Fotoshooting in Paris?“
    „ Vergiss es!“
    „ Es tut mir Leid.“
    „ Dir braucht es nicht Leid zu tun. Ist ja nicht deine Schuld, sondern die meines Bruders. Der wird noch was von mir hören, aber nicht wegen des Jobs, sondern deinetwegen. Ich hatte solche Angst um dich.“
    Er drückte mich fest in seinen Armen. Zwiespältige Gefühle rangen in mir: Einerseits wollte ich nicht, dass er mich losließ, andererseits konnte ich es kaum abwarten, ins Haus zu gehen.

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