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Im Morgengrauen

Im Morgengrauen

Titel: Im Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Béchar
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stellte er fest, dass die Nachricht gar nicht von mir war. Die Signatur stach ihm sofort ins Auge:
„Jeremy“.
Darüber:
„Ich hätte meinen Arsch drauf gewettet.“
    Mein Handy in den Händen seines Bruders ließ nichts Gutes ahnen. Sofort rief er ihn an, um zu erfahren, was geschehen war. Dieser erzählte ganz stolz, sie hätten mich dazu gebracht, mich zu verwandeln. Leider hatten sie mich nicht sehen können, dafür hatten sie meine Kleidung im Wald gefunden. Jeremy fand es zum Totlachen, dass ich mir sogar die Zeit genommen hatte, mich auszuziehen … Bedauerlich fand er nur, dass die „Hündin“ so schnell laufen konnte, denn er hätte mich zu gerne gesehen.
    „ Wenn ich recht verstehe, habt ihr keine Ahnung, wo sie steckt“, fragte Yannick wütend.
    „ Nee, sie ist nicht nach Hause gegangen, wir patrouillieren um …“
    „ Ihr macht was?!“, schrie Yannick ins Telefon.
    „ Wir warten halt auf sie, um Bilder zu schießen. Das ist alles.“
    „ Verschwindet da! Ich komme. Bete, dass ihr nichts passiert ist. Sonst wirst du mich noch kennenlernen.“
    Kochend vor Wut wendete Yannick ohne zu tanken. Hätte sein Bruder neben ihm gestanden, hätte er ihn geschlagen. Tränen stiegen ihm in die Augen bei der Vorstellung, ich würde nackt oder in meinem Fell verzweifelt im Wald herumirren.
    Er konnte sich entsinnen, nur einmal in seinem Leben geweint zu haben, und zwar als sein Vater starb. Der hatte ihm von Kindesbeinen an eingeimpft, dass Jungs nicht weinen. Heulen sei was für Weiber. Vielleicht hatte er Tränen vergossen, als er seine Mutter verloren hatte, er wusste es aber nicht mehr. Vielleicht war er damals einfach zu klein gewesen, um den Verlust zu begreifen. Es war so lange her, er konnte sich überhaupt nicht an sie erinnern. Natürlich waren ihm ein paar Fotos geblieben, als Säugling in ihren Armen … Seine ersten Schritte an ihrer Hand. Aber diese Frau war ihm fremd. Er sagte, er hätte mich beneidet, als ich voller Begeisterung und Trauer von meiner Mutter erzählt hatte.
    Nun machte er sich Vorwürfe. Er hätte nicht gehen dürfen … Nicht ohne mich. Eigentlich hätte er ahnen sollen, dass Jeremy seine Abwesenheit ausnutzen würde. Nur gut, dass er später losgefahren war als geplant. Als er sich einigermaßen wieder gefasst hatte, rief er einen Freund an, der ebenfalls hin und wieder als Model arbeitete, um sich sein Studium zu finanzieren. Er bat ihn für ihn einzuspringen, falls die Agentur keinen Ersatz fand. Dann rief er dort an, um Bescheid zu sagen, dass er nicht kommen konnte: Seine Freundin habe sich bei einem Unfall schwer verletzt.
    Zurück in den Hautes-Combes fuhr er als Erstes zu meiner Großmutter in der Hoffnung, ich sei in der Zwischenzeit nach Hause gegangen. Nie hätte er für möglich gehalten, dass er so bald an dieser Tür klingeln würde. Als er ihr gegenüberstand, kam ihm die Beschreibung meiner Mutter unwillkürlich in den Sinn. Meine Großmutter freute sich, ihn kennenzulernen, konnte ihm jedoch nur das sagen, was er bereits wusste: Ich wollte den Tag in Oyonnax verbringen. Für alle Fälle gab er ihr seine Rufnummer und ging.
    Yannick ließ den Wagen vor dem Haus stehen und lief zur Felswand. Er hoffte, mich dort zu finden, und rief einige Male nach mir, bis ihm bewusst wurde, ich würde mich ihm nie zeigen, in welcher Gestalt auch immer. Also sagte er laut: „Lilly, du kannst nach Hause. Sie sind weg.“
    Dann fuhr er zum Gasthaus. Er wollte sowohl seinen Bruder zur Rede stellen als auch meine Sachen abholen. Wie am Vorabend stürmte er in das Restaurant. Die Gäste waren ihm egal. Sofort fiel sein Blick auf meine Kleidung, die im Regal hinter der Theke lag.
    „ Sie ist immer noch nicht zu Hause. Erkläre mir bitte ganz genau, wohin ihr sie getrieben habt“, befahl er aggressiv.
    Jeremy erzählte ihm, wo sich das Ganze abgespielt hatte, worauf Yannick ihn aufforderte, ihm meine Sachen zu übergeben. Sein Bruder überreichte ihm die Kleidungsstücke und verspottete ihn mit meinem Handy in der Hand: „Hast du gewusst, dass du einen Nebenbuhler hast? Einen gewissen Manuel. Willst du wissen, was er ihr geschrieben hat …“
    Yannick riss ihm das Telefon aus der Hand und machte es aus.
    „ Ihre Schlüssel!“
    Er zeigte dabei mit dem Finger auf meinen Schlüsselbund. Das war keine Bitte, sondern ein Befehl.
    „ Die behalte ich. Man kann ja nie wissen.“
    Das war zu viel für Yannick, der die Beherrschung verlor und seinem Bruder mit der Faust ins Gesicht

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