Im Morgengrauen
abzuhalten. Ohne Erfolg! Sofort wählte ich die Nummer von Anna, ich hatte sie ohnehin anrufen wollen. Sie erzählte mir, sie hätte sich mit Miguel gestritten, es ging dabei auch um mich. Manuel hätte etwas mitbekommen. Er hatte nicht locker gelassen, bis sie ihm alles offenbart hatte. Direkt nach dem Gespräch habe er seine Sachen gepackt und sei abgereist. Sie hatte versucht, ihn am Telefon zur Vernunft zu bringen, vergeblich. Er hatte sein Handy abgeschaltet.
„ Lilly, könntest du dafür sorgen, dass er wieder nach Hause kommt. Ich kann nicht ruhig schlafen, wenn ich weiß, dass ihr beide dort seid. Und versprich mir, dass ihr euch in der Öffentlichkeit nicht … intim zeigt.“
„ Da kannst du beruhigt sein, ich habe einen Freund … Er hat mir sehr geholfen, seit ich hier bin. Anna …“ fuhr ich zögernd fort, „ich habe mich wieder verwandelt, als ich angegriffen wurde.“
„ Von Wölfen?“
„ Nein, keine Sorge. Nur Menschen, purer Zufall.“
Na ja, es stimmte nicht ganz, es war aber besser, einige Details wegzulassen. Die hätten sie nur noch mehr alarmiert.
„ Morgen nimmt ihr beide den Zug, um nach Hause zu kommen. Sonst hole ich euch persönlich ab.“
„ Nein, Anna, ich versichere dir, ich bin nicht in Gefahr. Aber etwas Ungewöhnliches ist doch passiert. Ich habe mich nicht in einen Löwen verwandelt, sondern in einen Vogel, um fliehen zu können … Anna … Bist du noch dran?“
Da sie schwieg, fragte ich mich, ob die Verbindung unterbrochen wurde.
„ Ja, Lilly, ich bin da. Ich weiß nur nicht, was ich dazu sagen soll … Außer dass ich wusste, dass du etwas Besonderes bist. Ich bin total überfragt. Es ist das erste Mal, dass ich von sowas höre. Wenn jemand dir helfen kann, dann deine Tante. Ich werde versuchen, sie zu finden.“
„ Danke! Und ich werde mit Engelszungen auf Manuel einreden. Du wirst ihn trösten, oder?“
„ Ich werde mein Bestes tun. Es wird aber nicht leicht sein, er hängt sehr an dir. Dein Freund, ist er …“, sie zögerte, den Satz zu beenden.
„ Nein, er ist ganz gewöhnlich“,
oder fast
, hätte ich beinahe gesagt. Auch hier war es unnötig, sie mit irgendwelchen Einzelheiten zu beunruhigen.
„ Umso besser. Pass auf dich auf! Ich drück dich.“
„ Ich dich auch. Sobald Manuel da ist, rufen wir an.“
Ich zog mich an und ging zu Yannick. Er hatte sich einen Kaffee gemacht und trank ihn am Küchentisch.
„ Magst du auch einen?“
„ Nein, danke. Ich muss unbedingt etwas essen.“
Ich setzte mich auf seinen Schoß.
„ Hast du ihn erreicht?“, fragte er zaghaft.
„ Nein, ich hatte seine Mutter am Telefon. Er ist überstürzt gegangen, als er erfahren hat, was ich bin.“
„ Oh! Ich vermute mal, dass wir uns dann heute Abend nicht sehen.“
„ Nicht heute Abend, nein“ – Manuel hatte Vorrang.
„ Gehen wir dann?“, schlug er vor, und gab mir dabei einen Klaps auf den Schenkel.
Zum Essen kauften wir eine Pizza zum Mitnehmen, die wir auf dem Weg zum Wagen verschlangen. Da wir aus der entgegengesetzten Richtung kamen, erkannte ich die Stelle, wo ich von der Straße gedrängt worden war, nicht sofort, sodass wir umkehren mussten. Aber dann ...
„ Halt an! Es war hier. Ich erkenne die Stelle. Mein Mofa kann nicht sehr weit sein.“
In der Tat lag es auf dem Boden ganz in der Nähe. Wir mussten nur noch den Helm finden, den ich irgendwann weggeworfen hatte, um besser laufen zu können. Wir durchkämmten den Wald in der Richtung, in die ich gelaufen war, bis Yannick ihn schließlich fand.
„ Ich bringe dich nach Hause.“
„ Schon?!“
Ich konnte meine Enttäuschung nicht verbergen.
„ Wir bringen das Mofa zurück. Ich kann dich nicht allein nach Hause fahren lassen. Nicht solange ich nicht ein ernstes Wort mit meinem Bruder geredet habe. Aber hinterher können wir gerne spazieren gehen, wenn du magst.“
„ Wie wär’s, wenn wir zu dir fahren würden?“
„ Klingt zwar verlockend …“ seine Augen zogen mich regelrecht aus, „ich fürchte aber, dass ich dich anschließend nicht mehr nach Hause bringen kann.“
Mitten in einem intensiven Kuss brach er den Bann: „Wann kommt Manuel an?“
„ Keine Ahnung, er hat sein Handy ausgeschaltet, damit seine Mutter ihn nicht mehr erreichen kann.“
„ Wie alt ist er denn?“
„ Sechzehneinhalb“, ich legte die Betonung auf „einhalb“.
„ Oh!“
Sein zufriedenes, leicht spöttisches Lächeln gefiel mir überhaupt nicht.
„ Was ist? Hast du ein
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