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Im Namen der Gerechtigkeit - Roman

Im Namen der Gerechtigkeit - Roman

Titel: Im Namen der Gerechtigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel & Kimche AG
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Kinder, alle dunkelhäutig, liefen einem Ball nach und wirbelten Staubwolken auf. Eine ganz in Weiß gekleidete Frau wedelte mit einer Zeitungsseite vor ihrem Gesicht. Auf den Stufen neben der Portierloge, die leer stand und ein kaputtes Fenster hatte, teilten sich zwei Jungen in kurzen Hosen eine Zigarette.
    Elena und Doni stiegen in den dritten Stock des ersten Aufgangs hinauf, dann wandten sie sich nach links. Sie waren in einem typischen Mailänder Mehrfamilienhaus, dessen Wohnungszugänge an einem gemeinsamen Balkon lagen, der sich in jedem Stockwerk rings um den Hof zog. Früher hatten hier Arbeiter gewohnt, Straßenbahner, Leute aus dem Süden des Landes, die kleinen Leute, die Italien aufgebaut hatten, und ihre Familien. Nun lebten Ausländer hier.
    Doni schleppte sich keuchend nach oben. Er blieb stehen und fuhr sich mit der Hand an die Milz.
    «Da wären wir», sagte Elena.
    Eine Wohnungstür öffnete sich, das Gesicht einer Frau erschien.

12
    DIE VERSCHLEIERTE FRAU bot ihnen einen Platz auf dem Sofa an. Sie war noch jung, um die dreißig, und hatte ein schönes, rundes Gesicht. Doni wusste nicht, ob er ihr die Hand geben sollte. Er beschränkte sich auf ein Lächeln, Elena ebenso.
    Die Frau ging weg, füllte Wasser und Zucker in einen kleinen Topf und stellte ihn auf den Herd. Dann drehte sie sich um und sagte, die Männer müssten gleich kommen, einer sei im Bad, und der andere habe sich etwas hingelegt, um sich von der Arbeit auszuruhen. Schließlich verschwand sie hinter den Gästen im Flur.
    Elena sagte nichts. Doni sah sich um: Die Einrichtung war weitgehend aus Plastik, ein weißer Tisch wie aus einem Freiluftlokal und viele bunte, kleine Stühle ringsumher, ein Schränkchen, eine gebrauchte Küche, ein brummender Kühlschrank. Das Sofa, auf dem sie saßen, war mit einem schmucklosen, roten Laken bedeckt.
    Was Doni Unbehagen bereitete, war die Armut des Ortes. Nicht die Fremdheit, nicht die Andersartigkeit, nicht die möglichen Kommunikationsschwierigkeiten. Und im Grunde nicht einmal die Absurdität der Situation, die er mehr fürchtete als alles andere.
    Wie lange war er schon nicht mehr auf Tuchfühlung mit der Armut gewesen? Oh, natürlich, er begegnete ihr bei seiner Arbeit, doch es war Jahre her, dass er diesen Geruch in der Nase gehabt hatte. Nach Zwiebeln und Staub. Nach aufgehängter Wäsche und Altpapier. Dazu seine Scham und die seiner Gastgeberin in diesem Moment. Seine Seidenkrawatte und die kaputte Tür des Vorratsschranks. Er presste die Hände zusammen, sie waren verschwitzt.
    Als die Frau nach wenigen Minuten zurückkam, kochte das Wasser bereits. Aus einer Dose nahm sie etwas, von dem Doni vermutete, es sei grüner Tee, und gab vier Löffel davon ins Wasser. Sie stellte die Flamme kleiner, wandte sich um und lächelte den Gästen zu.
    Die zwei Männer kamen in den Raum. Der eine war untersetzt und vollkommen kahl. Donis Aufmerksamkeit richtete sich sofort auf seine Augen: grau, tiefliegend, erschöpft. Der andere war sehr groß, etwa ein Meter fünfundachtzig, und von einer nervösen Magerkeit. Unentwegt fuhr er sich über seinen Schnauzbart.
    Die Männer nahmen zwei der bunten Stühle und setzten sich zu Doni und Elena. Inzwischen hatte die Frau den Herd ausgeschaltet. Aus einer Schüssel im Spülbecken fischte sie einige Blätter Minze und zerkleinerte sie über vier Gläsern. Sie goss den Tee ein, stellte die Gläser auf ein Tablett und servierte sie. Elena bedankte sich auf Arabisch, und sie antwortete mit einem weiteren Lächeln. Dann kehrte sie in den Flur zurück.
    Der hochgewachsene Mann sagte: «Ich heiße Tarek. Das ist mein Cousin Riadh. Riadh spricht nicht gut Italienisch, entschuldigt bitte. Ich werde übersetzen.»
    «Kein Problem», sagte Doni eilig.
    Tarek sah ihn ausdruckslos an.
    «Du bist gekommen, um über Khaled zu sprechen», sagte er zu Doni.
    «Ja», schaltete Elena sich ein. «Der Signore, Roberto, arbeitet fürs Gericht. Er will Khaled verteidigen.»
    Doni öffnete den Mund, sagte aber nichts. Tarek nickte zweimal und schwieg. Riadh nahm sein Glas und schlürfte geräuschvoll. Ihn schien das Ganze nicht sonderlich zu interessieren.
    «Ich werde euch sagen, was ich weiß», begann Tarek erneut. «Aber ich will hier keine Polizei oder so was. Ist das klar?»
    «Klar», sagte Elena. Doni nickte.
    «Ich sage euch, was ich weiß, weil es die Wahrheit ist, aber keine Polizei. Und du versprichst mir, dass du nichts von mir erzählst.»
    «Versprochen», sagte

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