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Im Namen der Gerechtigkeit - Roman

Im Namen der Gerechtigkeit - Roman

Titel: Im Namen der Gerechtigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel & Kimche AG
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Mathematiklehrer. Mein Cousin hat Schuhe repariert.»
    «Mathematiklehrer.»
    «Ja.»
    Doni schloss kurz die Augen, dann stand er auf und gab den beiden die Hand.
    «Ich danke Ihnen und wünsche viel Glück», sagte er.

13
    ELENA PARKTE AN einer Tankstelle, zehn Meter vor der Überführung. Sie startete den Motor. Vor ihnen fuhr ein alter Mann auf einem Fahrrad, die Ellbogen abgespreizt wie Flügel. Das Licht war schwächer geworden.
    «Soll ich Sie nach Hause fahren?», fragte die Journalistin.
    «Das ist nicht nötig», sagte Doni und schaute auf die Uhr. «Es genügt, wenn Sie mich an der nächsten U-Bahn-Station absetzen.»
    Elena kramte in ihrer Handtasche und nahm ihr Telefon heraus. Sie fuhr mit dem Daumen über das Display, als wollte sie Staub wegwischen, dann steckte sie es wieder ein.
    «Hören Sie», sagte sie. «Wenn es Ihnen recht ist … Also, wenn es Ihnen recht ist und Sie es nicht eilig haben, würde ich Ihnen die Via Padova gern zu Fuß zeigen.»
    «Wie bitte?»
    «Ja, also, ich würde gern einen Spaziergang zum Piazzale Loreto mit Ihnen machen. Das dauert höchstens eine Viertelstunde. Nur, um Ihnen ein bisschen von der Straße und ihren Leuten zu zeigen. Die Atmosphäre.»
    Doni war hundemüde, und der Gedanke, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, drängte sich immer stärker auf. Es war nun etwas Körperliches, ein Alarm der Drüsen, der einen Druck im Hals verursachte und Doni nach Hause trieb. Meine Frau wartet auf mich, ich muss noch zu Abend essen.
    «Ich weiß nicht, wozu das gut sein soll», sagte er.
    Elena suchte Zuflucht in ihrem Lächeln.
    «Sagen wir, es dient der Vervollständigung der Untersuchung.»
    «Es gibt überhaupt keine Untersuchung», sagte Doni. «Die beiden haben nichts Verwertbares gesagt, sie haben nur bestätigt, dass Khaled ein anständiger Kerl ist.»
    «Aber das ist doch immerhin etwas, oder?»
    «Jeder kann von jedem behaupten, er sei ein anständiger Kerl.»
    «Tja, Sie haben sie ja nichts weiter gefragt.»
    «Sie wussten nichts weiter. Das ist doch offensichtlich.»
    «Sie haben gesagt, was sie wissen.»
    «Und was sie wissen, ist nicht einmal der Anflug eines Beweises.»
    Sie stützte sich auf das Lenkrad.
    «Ja, ja, ich weiß.»
    Sie schwiegen und schauten durch die Windschutzscheibe auf die Straße.
    «Dieses Viertel», fuhr sie fort, «ist mehr als die Polizeimeldungen über es.»
    «Inwiefern?»
    «Sie, zum Beispiel, was wissen Sie über die Via Padova?»
    Doni breitete die Arme aus.
    «Das, was jeder weiß. Immigranten, Armut, Drogenhandel, die Einsatzwagen der Armee auf der Straße.»
    «Genau. Die Polizeimeldungen. Aber da ist noch viel mehr, Dottore. Die Fakten sind nur ein Schleier, sie kommen und gehen, das Leben der Menschen liegt aber darunter. Auch ich bin anfangs auf sie hereingefallen. Journalisten glauben, dass sich die Wahrheit in ihnen erschöpft, in dem, was geschieht, und in der Zeit, in der es geschieht. Man braucht es nur zu berichten, und schon ist die Aufgabe erledigt. Doch so ist es nicht.» Sie kratzte sich die Wange und schaute ihn an. «So ist es nicht, da ist noch viel mehr. Gehen Sie mit mir bis zum Loreto? Um mehr bitte ich Sie nicht.»
    Sie gingen los. Mit langsamen Schritten. So wie er es in Mailand immer getan hatte, in einem anderen Mailand als diesem, in seiner Jugendzeit, als spazieren gehen hieß, ins Stadtzentrum zu gehen, und vom Zentrum in die unmittelbare Umgebung, hinter der spanischen Mauer, von zu Hause zur Universität und wieder zurück.
    Was es zu sehen gab, begriff Doni erst, als auf der Höhe des Trotter Parks eine Frau einen chinesischen Jungen auf Neapolitanisch beschimpfte, weil er ihr auf dem Zebrastreifen mit dem Fahrrad die Vorfahrt genommen hatte. Zwei alte Peruaner lachten.
    Und sonst?
    Da war dieser Duft. Das Besondere, das ihm entgangen war. Mailand war keine Stadt, die man mit den Sinnen durchstreifte, war nicht die Naturkulisse für einen Spaziergang, das hatte auch Salvatori zu ihm gesagt. Mailand war ohne Aroma, geruchlos – ein Ort, der aus Verweigerungen bestand. Eigentlich liebte er die Stadt genau deswegen: Weil sie alles Mögliche und zugleich nichts war.
    Doch die Via Padova entzog sich dieser Theorie. Er war irgendwann mit Claudia in Südfrankreich gewesen. Sie waren zwischen Marseille, Montpellier, Perpignan und Toulouse umhergereist. Und sie hatten sich an den Düften berauscht, noch bevor sie die Bilder genossen. Es war, als führte jeder Windhauch eine ganz bestimmte Nuance mit

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