Im Namen der Gerechtigkeit - Roman
Sätze ein dringendes Mitteilungsbedürfnis.
Doni las den Artikel zu Ende, markierte ihn vollständig und speicherte ihn als Word-Dokument. Dann öffnete er die Testament -Datei.
Da wären wir wieder, dachte er, als er den ersten Satz auf dem Bildschirm las: Ich, Roberto Doni, schreibe dies …
Er ließ eine Minute verstreichen, dann zog er seine Brieftasche hervor, entnahm ihr das rote Quadrat mit der Telefonnummer der Journalistin, hob den Hörer ab und wählte die Nummer.
11
WAS TUE ICH hier eigentlich?
Das fragte sich Doni mindestens ein Dutzend Mal, und auch wenn die Frage im Laufe der Tage an Kraft und Dringlichkeit verloren hatte, weil sie zu etwas wie einer undeutlichen Mahnung zusammengeschrumpft war, sollte sie doch nie ganz aus seinem Hinterkopf verschwinden. Was also tat er hier, auf dem Piazzale Loreto um acht Uhr abends, am Anfang der Via Padova, wo er auf eine Journalistin im Alter seiner Tochter wartete? Er, der Oberstaatsanwalt. Der Staatsdiener. Die Antwort ließ auf sich warten, so wie sie auch im Folgenden auf sich warten ließ, so dass Doni sich damit begnügte, sich einfach als Teil des Straßenbildes zu akzeptieren.
Während er wartete, wurde ihm noch etwas anderes bewusst. Er war noch nie in der Via Padova gewesen.
Das erstaunte ihn einigermaßen. Als typischer Mailänder aus dem Zentrum und dessen Umgebung war diese Gegend für ihn eine uninteressante Randzone. Jenseits des Außenrings war für Doni nichts mehr von Interesse. Alles sah gleich aus, kaum merkliche Abstufungen einer grauen, wenig einladenden Peripherie. Er versuchte sich zu erinnern, ob es ihn in seiner Zeit als einfacher Staatsanwalt nicht irgendwann dienstlich hierher verschlagen hatte, doch er konnte keine einzige Episode aus dem Gedächtnis kramen.
Zudem war das Viertel damals recht ruhig gewesen. Erst seit einigen Jahren geriet es immer wieder in die Schlagzeilen. Doch zur selben Zeit hatte Doni aufgehört, öfter durch die Straßen zu spazieren.
Was tue ich hier eigentlich. Er nahm seine Tasche von der einen Hand in die andere, dann schaute er der Straße ins Gesicht. Sie verlief schnurgerade, ohne Unterbrechung, und verschwand fast am Horizont. Das Licht reichte noch aus, um Gesichter und Einzelheiten zu erkennen. An der Bushaltestelle etwa vierzig Personen, darunter nicht ein Italiener.
Er überquerte die Straße und kam am Viale Monza vorbei. Auch dort ungefähr das gleiche Bild, nur etwas chaotischer durch die Doppelspurigkeit und den dichten Verkehr. Die beiden Straßen formten einen großen Konus, der sich bis zu den Gemeinden des Umlands erstreckte. Hier irgendwo hatte jemand neben Khaled Ghezal einen Schuss abgefeuert. Doni tauschte in Gedanken die Gestalten aus: die Gestalt des mutmaßlichen, nun inhaftierten Täters mit der Gestalt des wahren Schuldigen – falls es ihn denn gab, falls er überhaupt existierte –, der auf freiem Fuß war, der lachte oder aß oder Sex hatte, oder der vielleicht gerade an ihm vorüberging oder aber wie Doni unruhig und unsicher durch die Gegend lief, der Gejagte und der Jäger.
Hier war es. Irgendwo hier, an diesem Ort, lag die Wahrheit.
Er erschrak, als es neben ihm hupte. Er drehte sich um und entdeckte einen alten roten Uno, der mit Warnblinkern rechts heranfuhr. Darin saß Elena, die Journalistin. Lächelnd winkte sie ihm einzusteigen.
Doni beugte sich zum Fenster, das halb heruntergekurbelt war.
«Ich dachte, Sie kommen zu Fuß», sagte er.
«Ich hatte ein Interview außerhalb der Stadt und bin gerade erst fertig geworden. Ich dachte mir, wir fahren erst mal mit dem Auto. Dann bekommen Sie schnell einen Gesamteindruck von der Straße. Los, kommen Sie.»
Doni stieg ein, und Elena legte den ersten Gang ein.
«Ist das Ihr Auto?», erkundigte er sich.
«Es gehört meiner Mutter.»
«Ist Ihre Mutter auch Journalistin?»
Sie schaute ihn an und lachte auf.
«Nein, sie arbeitet bei der Post. Warum fragen Sie?»
Doni schüttelte den Kopf.
«Keine Ahnung, wirklich nicht.»
«Sie arbeitet bei der Post in Cinisello Balsamo», redete sie weiter. «Mein Vater ist gestorben, als ich fünf Jahre alt war. Mein Bruder ist Maschinenbauingenieur. Der bunte Hund in der Familie bin ich.»
«Das mit Ihrem Vater tut mir leid», sagte Doni.
Sie zuckte mit den Schultern. Einen Moment lang schwiegen sie.
«Also, danke nochmals, dass Sie gekommen sind», sagte Elena dann. «Wirklich. Ich weiß, dass es Sie viel Überwindung gekostet hat, doch ich versichere Ihnen, dass Sie
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